Ein Softwarekonzept für ununterbrochenes Commoning (Teile 1-4)

Ein Softwarekonzept für ununterbrochenes Commoning

von Marcus Meindel

Die Textreihe wird seit Mai 2020 vollständig neu erarbeitet und strukturiert.

Alle Texte sind lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz (CC-BY-NC-SA)

Erster Teil

Erstes Vorwort

Willkommen auf einer siebenteiligen Reise einmal quer durch die Struktur einer Software, welche, zumindest der Theorie nach, die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise in eine emanzipatorische Richtung möglich machen soll. Das ist durchaus ernst gemeint, muss aber an dieser Stelle nicht ernst genommen werden. Und selbstverständlich ist diese Software auch nicht alles, was zur Überwindung der heutigen gesellschaftlichen Problematiken notwendig ist. Allerdings entsteht durch sie eine Möglichkeit, die Welt zu erfassen, um darin selbstorganisierte Kooperationsstrukturen aufzubauen, deren Zweck nichts anderes als die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ist und in welche sich lediglich durch die Fähigkeiten und Interessen der Beteiligten strukturieren.

Es ist ernst gemeint: Durch das Internet ist eine Gesellschaftsform denkbar geworden, in der wir uns nicht als Konkurrenten gegenübertreten müssen, in der wir auf Bürokratieapparate und Planungskomitees verzichten können, in denen wir uns unseren Bedürfnissen, Fähigkeiten und Interessen nach entwickeln können und kurz: in der der Mensch dem Menschen ein Helfer wird, ohne, dass wir die technischen Errungenschaften hinter uns lassen müssen. Aber diese Vermittlungsform , die das alles möglich macht, entsteht nicht von selbst – sie muss mit den gegebenen Möglichkeiten konstruiert und verbreitet werden. Und das ist die Aufgabe, welche jetzt vor uns liegt.

Wenn ich auch denke, dass über diese Textreihe die Struktur des Commonings im allgemeinen verständlicher werden kann, richtet sie sich sich in erster Linie an Entwickler und Entwicklerinnen. Und sowie jeder Text, der mit der Software in Zusammenhang steht, selbstverständlich unter einer Creative-Commons- Lizenz läuft, ist die Entwicklung als Freie Software eine unbedingte Voraussetzung.

In diesem ersten Teil werden zuerst theoretische Grundlagen, die Strukturformel des Commonings und schließlich die Grundstruktur der Software mit den wesentlichen Handlungsmöglichkeiten für die Anwender und Anwenderinnen eingeführt. Am Ende dieses Teils steht eine kurze Übersicht zu den folgenden sechs Teilen. Parallel zur Textreihe ist der Essay „ The Timeless Way of Re-Production“ (2019) erschienen, in welchem auf die Softwarestruktur durch eine Interpretation der Mustertheorie von Christopher Alexander geschlossen wurde.

In diesem Sinne: Ich freue mich sehr, dass du zu diesem Text gefunden hast und wäre von Herzen dankbar, wenn du dich – auf welche Weise auch immer und in welchem konkreten Projekt auch immer – an der Realisierung dieser Vermittlungsform beteiligst.

Theorie-Vorwissen I

Ganz kurz: Ja, durch die Software lassen sich kleine Prozesse unterstützen, wie in der Nachbarschaft füreinander zu kochen oder Kinderbetreuung gemeinsam zu organisieren. Aber gleichzeitig kann sie der Boden für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung sein, wie sie folgend angerissen wird. Beide Momente sind dabei genau gleich – es geht darum, sich um sich selbst und seine Mitmenschen zu sorgen und entsprechend aktiv zu werden bzw. überhaupt die Möglichkeit aufzubauen, in dieser Weise und ohne zueinander in Konkurrenz zu gehen für sich selbst und andere da zu sein. Wenn dich die Theorie nicht interessiert, dann überspringe das Kapitel einfach.

Was ist der Zweck dieser Software? Nicht mehr oder weniger als eine grundlegende emanzipatorische Veränderung der Gesellschaft zu fördern bzw. - wenn das ganz unbescheiden ausgedrückt werden darf – in einer bestimmten Weise sogar erst möglich zu machen. Wir konstruieren hierfür kein Modell , nach welchem sich Menschen zu richten haben, sondern unterstützen individuelle Handlungsmöglichkeiten, die darauf abzielen, sich selbst und anderen Menschen zu helfen. Und diese gegenseitige Unterstützung kann in der Nachbarschaft stattfinden und sehr einfach vonstatten gehen. Sie kann aber auch abhängig von Dingen sein, die nur über die komplexe Kooperation von vielen Beteiligten verfügbar gemacht werden können. Besonders auch diese komplexen Strukturen sollen durch die Software ermöglicht werden.

Welche Art von gesellschaftlicher Veränderung soll das sein? Das Ziel ist die freie Entwicklung eines jeden Menschen entlang der eigenen Fähigkeiten und Interessen. Die Voraussetzung dafür ist, dass zumindest innerhalb dieser Struktur keine Menschen über andere bestimmen können, dass Geld niemals zwischen uns und dem, was wir benötigen, steht und ganz allgemein, dass wir nicht strukturell von den Dingen ausgegrenzt sind, die wir für unser Leben benötigen.1 Und weiter kann dieses Ziel nur erreicht werden, wenn wir die gesellschaftlichen Strukturen zur Befriedigung unserer Bedürfnisse bewusst und auf Augenhöhe2 regeln können. Um sich darüber klar zu werden, was das bedeutet, muss kurz auf die heutige Situation eingegangen werden.

Was ist die heutige Situation? Unser Leben wird heute durch Geld bestimmt. Wir brauchen es um unsere Miete zu zahlen, wir brauchen es um an Lebensmittel zu kommen, wir brauchen es für unsere Freizeitaktivitäten etc. Und die meisten von uns kommen an dieses Geld über Lohnarbeit oder vielleicht auch über selbstständige Arbeit. Beiden ist gleich, dass sie dem Markt unterworfen sind. Wer selbstständig ist, kann nicht machen, was er oder sie für richtig empfindet, sondern braucht entsprechende Kunden, die bestimmte Aufträge offen haben. Und wer gegen Lohn arbeitet, braucht einen Arbeitsplatz, welcher selbst ein laufendes Unternehmen voraussetzt. Das Unternehmen ist dabei selbst dem Markt unterworfen. Es steht in Konkurrenz zu anderen Unternehmen und muss die eigenen Produkte besser oder billiger als diese anbieten. Wenn es das nicht schafft, machen sowohl die Unternehmer als auch die Aktionäre Verluste, aber auch die Lohnarbeiter können ihren Arbeitsplatz verlieren. Für alle am Unternehmen Beteiligten ist es wichtig, sich am Markt durchzusetzen, damit man nicht selbst, sondern die anderen leer ausgehen. Aber um sich am Markt durchzusetzen, muss gespart werden. Wenn Unternehmen kosten sparen, bedeutet das für Lohnarbeitende: Ihre Löhne müssen möglichst gering sein, dafür müssen sie möglichst intensiv arbeiten und das zu einen möglichsten großen Teil ihrer Tages- und Lebenszeit. Und diese Lohnarbeiten sind, unter anderem, wir und so muss mit uns gehandhabt werden. Kosten sparen bedeutet aber auch: Die notwendigen Materialien dort zu beziehen, wo sie am günstigsten sind. Also einerseits von anderen Unternehmen, in denen die Mitarbeiter möglichst schlechte Arbeitsbedingungen haben (also billig sind), und anderseits durch Rohstoffe aus etwa Monokulturen, der Abholzung des Regenwaldes oder durch die Verwendung von billigem Plastik oder anderen Materialien.

Es ist hier kein Platz, um auf die gesamte Dynamik einzugehen, welche passiert, wenn wir als Menschen unsere Tätigkeit dem Markt unterordnen.3 Aber nur so viel soll gesagt sein: Durch den Markt geschieht eine Verselbstständigung der Gesellschaft. Durch die Konkurrenz können wir nicht so handeln, wie es uns etwa einer Ethik nach als richtig erscheint. Und der Markt und das Geld sind ein und dasselbe. Und das Geld ist im höchsten Maße praktisch, da darüber die verschiedensten Arbeiten gleichsetzt werden können. Und ja: Die heutige moderne Gesellschaft ist ohne Geld nicht denkbar. Eben weil es überhaupt eine Vermittlungsform ist, durch welche auf die Befehlsgewalt von Personen übereinander verzichtet werden kann. Über Geld kann etwa die Arbeit einer Kinderpflegerin aus Deutschland mit der Arbeit einer Architektin aus Japan gleichgesetzt werden – ohne sich zu kennen, kann die eine für die andere tätig werden, wenn auf der jeweils anderen Seite eben eine bestimmte Geldmenge vorhanden ist. Über Geld wird das möglich, allerdings ist Geld auch eine primitive Vermittlungsform . Der Tausch bzw. die Vermittlung über Geld setzt voraus, dass jedes Ding auf einen Geldwert – eine einzige Zahl – reduziert wird.4 Das Haus hat einen Geldwert, der Tisch an dem ich sitze auch und selbst meine Zeit, wenn ich für ein Unternehmen arbeite. Aber hat es das wirklich? Hat das Haus wirklich einen Geldwert? Das ist mehr als eine rein philosophische Frage und ich würde sie nicht stellen, wenn es nicht unbedingt mit dieser Software zusammenhängt. Um diese Software zu verstehen, muss die Frage nach der sozialen Form geklärt werden.

Was ist eine „soziale Form“? Eine soziale Form ist etwas, das durch eine bestimmte Weise entsteht, wie wir als Menschen mit den Dingen der Welt umgehen. Das Haus hat heute wie selbstverständlich einen Geldwert, aber keine Wissenschaftlerin der Welt wird auch nur ein Wertatom in den Mauern finden können. Wenn du dich jetzt umschaust, wirst du jedem Ding, das du siehst, einen solchen Geldwert zuschreiben können. Und wenn jemand jetzt zu dir kommt und etwas davon haben möchte und das Ding auch dir gehört, dann könntest du dafür einen Geldbetrag nennen, der dir dafür fair erscheint. Unabhängig ob du das jetzt verkaufen möchtest oder nicht. Ich bitte dich, schau dich kurz um und prüfe das selbst. Ich meine das wirklich ernst.

Du kannst jedem Ding ein solche Zahl zuschreiben, aber dadurch ändert sich an der Materie des Dinges selbst nichts. Du kannst es gegen Geld verkaufen, weil es dein privates Eigentum ist und du entscheiden kannst, was damit geschieht. So funktioniert unsere heutige Gesellschaft. Aber die gesellschaftliche Dynamik des privaten Eigentums führt dazu, dass immer weniger Menschen immer mehr Verfügungsmacht haben, also darüber bestimmen können, wie mit den Dingen der Welt umgegangen wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit lebst du daher auch nicht in deiner eigenen Wohnung, sondern diese gehört jemand anderen und du musst einen guten Teil deines Lohns (oder Verdienstes deiner selbstständigen Arbeit) an diese Person weitergeben, damit du darin wohnen darfst. Anders gesagt bedeutet das: Ein paar Tage im Monat arbeitest du nur für diese Person . Privates Eigentum schließt zuerst einmal immer alle anderen aus und dieser strukturelle Ausschluss kann – wie am Beispiel der Wohnung – zum Vorteil genutzt werden, damit andere für einen selbst arbeiten gehen müssen. Wenn auf diese Weise mit den Dingen der Welt umgegangen wird, dann haben diese Dinge die soziale Form der Ware . Alles kann dabei zur Ware werden, wenn es nur gegen Geld getauscht wird bzw. getauscht werden kann. In der Softwarestruktur gehen wir mit den Dingen allerdings nicht als Waren, sondern als Commons um.

W as ist ein Commons? Commons ist die soziale Form der Dinge, die in Commoning- Prozessen verwendet werden. Und Tätigkeiten fallen in die Kategorie des Commonings, wenn sie auf die Befriedigung von Bedürfnissen abzielen, selbstorganisiert und selbstbestimmt sind, niemand strukturell davon ausgeschlossen wird und sowohl die Form der Kooperation als auch Konflikte auf Augenhöhe geklärt werden.5 Im Verlauf dieser Textreihe wird noch klarer werden, was das genau bedeutet. Und falls es wirklich möglich sein sollte, dass wir es durch Commoning schaffen unabhängig vom Markt und von Geld zu werden, dann wirst du auch merken, dass gesellschaftliche Veränderung immer auch eine individuelle Veränderung bedeutet. Dann siehst du dich im Raum um und die Dinge haben keinen Geldwert mehr, sondern nur noch den Zweck die Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen und unterliegen hierbei bestimmten Absprachen und Regeln. Das wäre dann auch der Moment, in dem du es wohl absurd finden würdest, Monat für Monat für andere Menschen zu arbeiten, nur weil du in einer Wohnung leben willst. Du würdest in einer Wohnung leben, weil du eine Wohnung zum leben brauchst und diese Wohnung vielleicht schlicht zur Verfügung stand.

Und nochmal: Was ist der Zweck dieser Software? Alle Dinge zu erfassen, welche für Commoning verwendet werden können, den sozialen Prozess über deren Verwendung unterstützen und den Aufbau von komplexen Strukturen zur Befriedigung vermittelter Bedürfnisse zu ermöglichen, in welche sich durch den Prozess der Selbstzuordnung den eigenen Fähigkeiten und Interessen nach eingebracht werden kann.

Und w as ist der Kontext der Textreihe? Auf die Notwendigkeit einer softwaregestützten Vermittlungsform zur Aufhebung kapitalistischer Verhältnisse wurde im Essay „Der Ausdehnungsdrang moderner Commons“ (2018) geschlossen. Im Ausdehnungsdrang wurde sich dabei an „Kapitalismus aufheben“ (2018) von Stefan Meretz und Simon Sutterlütti abgearbeitet und herausgestellt, dass sich zwei Formen des Commonings unterscheiden lassen und verschiedenartig funktionieren müssen: (interpersonales) Commoning, wenn sich konkrete Personen direkt aufeinander beziehen und (transpersonales) Commoning, wenn sich in der Vermittlung nicht auf konkrete Personen bezogen wird. Bei der Software geht es speziell um die zuletzt genannte Form. Meretz und Sutterlütti sind Aktivsten im Commons-Institut, zu welchem auch Silke Helfrich gehört. Die Textreihe steht insofern im Kontext zu Helfrichs Arbeiten, dass Helfrich, zusammen mit David Bollier, eine neue Commons-Perspektive eröffnet, in deren Strukturen und Begriffen sich auch die Software-Vermittlung bewegt. Unbedingt hervorzuheben ist ihr Werk „Frei, Fair und Lebendig“ (2019) . Eine im Kontext des Commons-Instituts erwähnenswerte Arbeit – auch wenn diese keinen direkten Einfluss auf das vorliegende Konzept hat – ist „Beitragen statt Tauschen“ (2007) von Christian Siefkes, welcher hierin versucht materielle Produktion nach dem Modell Freier Software zu denken. Der theoretische Ansatz dieser Textreihe gliedert sich weiter in die Strömung der Wertkritik ein und soll damit auch eine Antwort auf die Frage sein, welches gesellschaftsverändernde Potential außerhalb der Klassenfrage liegt.

Im vierten Teil der Textreihe wird das Theorie-Vorwissen fortgeführt.

1 Siehe auch: Grundrisse (MEW42), S.91

2 Das englische Wort „Peer“ ist zutreffender, allerdings gibt es keine gute deutsche Übersetzung hierfür. Statt der Umschreibung „auf Augenhöhe“ verwendet Silke Helfrich etwa das Wort „Gleichrangige“ ( Frei, Fair und Lebendig , S.77)

3 Einführungen hierzu gibt es sowohl unter Creative-Commons-Lizenz von meiner Seite ( Das Kapital und die Commons) als auch käuflich von z.B. Michael Heinrich ( Einführung in die politische Ökonomie). Beides sind Einführungen zu „Das Kapital“ (MEW23-25) von Karl Marx. Egal, was die Welt sagt: Die Lektüre lohnt sich uneingeschränkt.

4 Vergleiche auch Sutterlütti/Meretz: „Bandbreite: Informationen zur Koordination im Commonismus sind qualitativer Art. Die Informationen benötigen also eine hohe Bandbreite […], wenn sie kommuniziert werden und in einen Vermittlungsprozess eingehen“. (Kapitalismus aufheben, S.179)

5 Beide Begriffe (Commons/Commoning) folgen dabei den Definitionen des Commons-Institut Aktivisten Johannes Euler: „Commoning shall be described as voluntary and inclusively self-organized activities and mediation of peers who aim at satisfying needs" und " Commons is the social form of (tangible and/or intangible) matter that is determined by commoning" ( Conceptualizing the Commons", in Ecological Economics 143 , S.12).

Strukturformel des Commonings

Im Grunde genommen ist Commoning alles, was selbstverständlich ist, wenn ich mich um meine Mitmenschen sorge und wir uns untereinander mit dem Ziel organisieren, dass es uns allen gut geht. Damit daraus aber auch komplexe Strukturen entstehen können, müssen wir uns der Sache strukturell annähern.

Folgend wird der Prozess dargestellt, vom Bedürfnis über seine Vermittlung und den kooperativen Prozess zu seiner Befriedigung. Ein Bedarf entsteht dabei immer nur, wenn ein Mittel für eine zur Bedürfnisbefriedigung notwendigen Tätigkeit benötigt wird. Diese Mittel selbst unterscheiden wir danach, wie sie geteilt werden können. Das heißt, ob sie aufgeteilt werden müssen, da sie sich in ihrer Verwendung abnutzen oder aufbrauchen. Ob sie gemeinsam genutzt werden können, was entsprechende Regelungen zur gemeinsamen Nutzung nach sich ziehen kann. Oder ob sie weitergegeben werden können, da sie sich – wie Informationen, Ideen, Codes, etc. - durch den Prozess des Teilens vermehren.1

Einsicht : Eine Person macht sich ein Bedürfnis bewusst ( B- ) oder erkennt den Bedarf nach einem Mittel ( M- ), welche sie für ihre Tätigkeit benötigt, aber ihr nicht zur Verfügung steht.

Vermittlung: Das Bedürfnis bzw. der Bedarf kann außerhalb oder innerhalb der Software vermittelt werden. Außerhalb der Software ist die Vermittlung dabei abhängig von persönlichen Kontakten und anderen Strukturen, die der jeweiligen Person bekannt sind. Für uns relevant ist natürlich die Vermittlung innerhalb der Softwarestruktur, in welcher Bedürfnisse und Strukturen – in welcher Form auch immer – abgelesen werden können.

Commoning : Die Software unterstützt den Prozess des Commonings. Relevant für die Softwarestruktur ist dabei, dass es immer um konkrete menschliche Tätigkeiten geht, deren Kooperation auf Augenhöhe verläuft und bei denen (in der Regel) Mittel verwendet werden.

Abschluss: Eine Tätigkeit ist abgeschlossen, wenn damit entweder ein Bedürfnis befriedigt ist ( B+ ) oder ein Mittel zur Verfügung gestellt wurde, welches im Prozess der Bedürfnisbefriedigung benötigt wird. Das heißt also, wenn ein Bedarf gedeckt wurde ( M+ ).

1 Hier folgen wir Helfrich/Bollier. Vgl. Frei, Fair und Lebendig, S.85

Grundlagen zur Softwarestruktur

Die Struktur der Software wird im Verlauf der Textreihe im Detail dargestellt. Folgend geht es daher nur um die Grundstruktur und wie sich eine einzelne Person darin einbringen kann.

Da der Zweck der Software die Unterstützung von Prozessen der Bedürfnisbefriedigung ist, müssen diese Bedürfnisse (B-) natürlich vermittelt werden können. Jedes Bedürfnis wird über eine Tätigkeit befriedigt – hier in der Grafik wird diese Tätigkeit „T1“ genannt. Zur Ausführung der Tätigkeit T1 braucht es das Mittel (a) bzw., auf die Tätigkeit bezogen, M1a . Das Mittel M1a kann über die Tätigkeit T1a1 verfügbar gemacht werden.

Wer führt diese Tätigkeiten aus? Da wir uns in einer Struktur bewegen, in welcher Personen niemals über andere Personen bestimmen dürfen – noch nicht einmal auf demokratische Weise -, kann die Zuordnung zu notwendigen Tätigkeiten nur durch die jeweiligen Personen selbst geschehen. Wir nennen das den Prozess der Selbstzuordnung1, welcher über verschiedene Softwarefunktionen unterstützt werden soll. Die Kooperation selbst geschieht zwischen den Personen, welche die aufeinander bezogenen Tätigkeiten ausführen. Und an dieser Stelle angemerkt: Immer wenn von einer Person gesprochen wird, ist auch immer eine Gruppe damit gemeint . Ob eine Person alleine oder eine Gruppe gemeinsam sich in die Softwarestruktur einbringt, ist nicht relevant.

Bei den Mitteln, welche bei den jeweiligen Tätigkeiten verwendet werden, unterscheiden wir zwischen zwei Kategorien, wobei die Grenzen dazwischen fließend sind: Private Mittel und gesellschaftlichen Mittel . Private Mittel sind Eigentum einer konkreten Person, welche über deren Nutzung alleine bestimmen darf. Sie kann sich entscheiden, diese Mittel nur selbst zu verwenden oder sie kann Nutzungsbedingungen festlegen, in deren auch andere diese Mittel mitverwenden dürfen. Je nachdem, welche Person sich daher einer Tätigkeit zuordnet, kann sich demnach auch unterscheiden, welche Mittel noch für diese Tätigkeit verfügbar gemacht werden müssen.

Für die soziale Form des Commons sind solche Eigentumsverhältnisse irrelevant, wenn auch bei privaten Eigentum die ständige Ausgrenzung durch die Eigentümerin droht. Anders ist das bei gesellschaftlichen Mitteln, auch wenn es sich hierbei um eine diffuse Kategorie handelt. Im vierten Teil der Textreihe wird sie näher aufgeschlüsselt. An dieser Stelle gehen wir verkürzt davon aus, dass jedes Mittel, das über eine Tätigkeit im Rahmen des Commonings verfügbar gemacht wird, ein gesellschaftliches Mittel ist und niemand von dessen Verwendung ausgeschlossen wird.

Über die Verwendung von Commons können Absprachen und Regeln getroffen werden, sowie Sanktionen bei Regelverletzung und etwa Nutzungseinschränkungen um zum Beispiel die Übernutzung von Naturvermögen zu verhindern. Dass niemand von der Verwendung gesellschaftlicher Mittel strukturell ausgeschlossen ist, bedeutet für die Software, dass um jedes gesellschaftliche Mittel ein sozialer Prozess entstehen können muss, in welchem die Verwendung geklärt werden kann. Dieser soziale Prozess muss durch entsprechende Kommunikationsfunktionen oder etwa die Transparenz von Absprachen unterstützt werden.

Neben der Bedürfnisvermittlung , der Selbstzuordnung, dem zur-Verfügung-stellen von privaten Mitteln ist das Recht auf die Mitendscheidung zur Verwendung der gesellschaftlichen Mittel die letzte grundlegende Handlungsmöglichkeit der Anwender*innen.

1 Das Konzept der Selbstauswahl im Rahmen des Commonings wurde besonders von Meretz/Sutterlütti im Rahmen der „commonistischen Stigmergie“ eingebracht (z.B. Kapitalismus aufheben, S.178)

 

Zweiter Teil

Zweites Vorwort

Bevor wir uns weiter damit beschäftigen die unterstützende Vermittlungsform einer Gesellschaft nach Bedürfnissen, Fähigkeiten und Interessen zu konstruieren, will ich eines nochmal ganz deutlich sagen: Ja, es handelt sich um ein Softwarekonzept und ja, es richtet sich in erster Linie an Entwickler und Entwickler*innen, da es letzten Endes auf eure Arbeit ankommt. Aber alles was die Software macht, ist reales Commoning zu unterstützen .

Die Software erzeugt hier nichts, was nicht sowieso schon da wäre. Wenn es im Verlauf dieses Kapitels um → Fähigkeiten geht und dass es sich dabei um → Tätigkeitsmuster handelt, die als verinnerlicht markiert werden, dann ist das nicht mehr oder weniger als die Abbildung eines realen Prozesses: Jemand macht etwas (geht einer bestimmten Tätigkeit nach), merkt, dass er oder sie das kann und geht anschließend der Tätigkeit immer wieder nach – so lange eben, bis er oder sie nicht mehr nachlesen muss, wie es funktioniert. Die Person verinnerlicht die Tätigkeit, wird sich darüber bewusst und gibt die Information entsprechend an die Software weiter. Hierdurch werden ihr zukünftig Tätigkeiten vermittelt, welche die verinnerlichte Tätigkeit voraussetzt. Was wir also machen ist, diesen realen Prozess in der Software abzubilden, damit die entsprechende Person mehr Möglichkeiten hat sich mit ihrer gewonnen Erfahrung in anderen Prozessen zu integrieren und sich somit entwickeln zu können.

Oder ein anderes Beispiel: Im späteren Verlauf der Textreihe wird es um Softwarefunktionen zur Stärkung interpersonaler Beziehungen gehen. Was ist die reale Situation? Über die → Konfiguration wird ersichtlich, welche konkreten Personen, die sich unabhängig voneinander Tätigkeitsmustern zugeordnet haben, im realen Prozess schließlich miteinander kooperieren. Das heißt, zwei oder mehr Personen kommen an einem Ort zusammen, um ein bestimmtes Projekt anzugehen und arbeiten einige Tage gemeinsam daran. Womöglich entstehen dabei Freundschaften oder zumindest Bekanntschaften – man kennt sich und würde ein ähnliches Projekt vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder zusammen angehen. Was über die Software jetzt möglich wird, ist dass diese Beziehung zwischen den beiden Personen und den Tätigkeiten, die sie ausgeführt haben, gespeichert werden kann und falls das gleiche Problem wieder auftritt, das sie bereits gemeinsam gelöst haben, können wieder diese konkreten Personen gemeinsam automatisch angefragt werden. Das ist nichts anderes, als wenn eine von beiden gehört hätte, das es irgendwo etwas zu tun gibt und dann die andere anschreibt, ob sie nicht Lust hat, wieder mit anzupacken – nur eben vereinfacht bzw. durch die Software unterstützt .

Aber genug davon und so weit sind wir noch lange nicht. In diesem Teil geht es überhaupt erst einmal um das Tätigkeitsmuster , um Konfigurationen , um Fähigkeiten und schließlich um die Notwendigkeit, Qualifikationen zu definieren.

Das Tätigkeitsmuster

Die Software selbst unterstützt Prozesse zur allgemeinen Bedürfnisbefriedigung. Das heißt, es gibt Bedürfnisse die befriedigt bzw. - von einem anderen Standpunkt betrachtet – Leiden die gelindert werden wollen. Oder ein wenig allgemeiner formuliert: Es gibt Probleme, die gelöst werden müssen. Und um diese Probleme zu lösen muss etwas getan werden. Und wenn wir etwas machen, dann brauchen wir oft Dinge dafür und wenn wir diese Dinge nicht haben, dann ist das ein weiteres Problem, das gelöst werden muss. Ein Tätigkeitsmuster beschreibt dabei, was getan werden kann , um ein bestimmtes Problem zu lösen und welche Dinge bei dieser Möglichkeit einer Lösung benötigt werden.

Tätigkeitsmuster sind die Kernelemente des ununterbrochenen Commonings. Wir bauen auf dem Gedanken auf, dass sehr viele Tätigkeiten zur Lösung bestimmter Probleme im gesellschaftlichen Kooperationsprozess nicht einmalig sind, sondern sich in gleicher Form wiederholen. Diese wiederkehrenden Tätigkeiten werden als Muster beschrieben, allgemein-verfügbar festgehalten und werden somit verarbeitbar gemacht.

Der Rahmen eines Tätigkeitsmusters besteht aus dem Resultat einer Tätigkeit – also dem, was nach der Tätigkeit verfügbar ist oder durch die Tätigkeit passiert – und dem Bedarf einer Tätigkeit. Der Bedarf sind alle Mittel, die zur Ausführung der Tätigkeit verfügbar sein müssen. Das Tätigkeitsmuster enthält schließlich eine möglichst genaue Beschreibung, wie der Bedarf angewendet werden muss, um das Resultat verfügbar zu machen.1

Das Resultat vieler Tätigkeiten (insofern es keine direkte Bedürfnisbefriedigung ist) und der Bedarf jeder Tätigkeit, ist dabei immer ein Mittel, welches auf Softwareebene durch ein Mittelmuster bzw. Muster eines Mittels dargestellt wird und von dort auf konkret vorhandene Mittel verweist. Der Zusammenhang des Mittelmusters mit dem konkreten Mittel wird im sechsten Teil der Textreihe, → Muster von Mitteln , näher ausgearbeitet.

Ein Tätigkeitsmuster ist dabei eine individuelle Erfahrung , welche gesellschaftlich geteilt und damit frei verfügbar gemacht wird. Auf diese Weise kann auch seine Entstehung verstanden werden: Jemand vermittelt den Bedarf nach einem bestimmten Mittel und eine andere Person weiß, wie sie dieses Mittel verfügbar machen kann. Diese Person besorgt sich, was dafür notwendig ist, geht der Tätigkeit nach und deckt schließlich den Bedarf zur Zufriedenheit der Person, welche ihn vermittelt hat. Die Person, welche die Tätigkeit ausgeführt hat, beschreibt schließlich wie sie bei der Tätigkeit vorgegangen ist und was sie dafür benötigt hat in einer genormten Form und speist sie in einer Datenbank ein. Wenn anschließend der Bedarf nach demselben Mittel noch einmal vermittelt wird, kann dieses Muster abgerufen werden – neben all den anderen Mustern mit demselben Resultat – und alle anderen Anwender*innen der Software können auf diese individuell Erfahrung zurückgreifen und – die benötigte Qualifikation vorausgesetzt – denselben Bedarf ebenfalls decken, falls ihnen die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen.

Neben Resultat, Bedarf und der Tätigkeitsbeschreibung ist jedes Muster noch mit weiteren Eigenschaften beschrieben, auf welche im Verlauf der Textreihe noch näher eingegangen werden wird. Für den Konfigurationsprozess wichtig ist dabei der Aufwand einer Tätigkeit (→ Aufwandsfrage ), welcher zusammen mit den zur Bedarfsdeckung notwendigen Tätigkeiten den (spekulativen) Gesamtaufwand ergibt (→ Konfigurationsprozess ). Weiter gibt es eine Musterbewertung – sowohl die Bewertung der darin beschrieben Tätigkeit selbst, die Bewertung des hervorgehenden Resultates sowie die Auswirkungen der Tätigkeit, welche nicht als Resultat gefasst werden können (Umweltauswirkung, etc.). Falls eine →Qualifikation zur Ausführung der Tätigkeit notwendig sein sollte, muss diese selbstverständlich erreicht sein, bevor sich einem Tätigkeitsmuster zugeordnet werden kann. Der Begriff der →Fähigkeiten verweist dabei darauf, dass es sich um ein komplexes Tätigkeitsmuster handelt, welches in einzelne Muster aufgeschlüsselt werden kann. Weiter relevant sind auch Variationen von Tätigkeitsmustern und Nebenresultate , wie die Abnutzung von Mitteln durch die Tätigkeit – darauf wird im sechsten Teil (→ Details zu Tätigkeitsmustern ) näher eingegangen. Im Verlauf der Textreihe werden immer nur die Eigenschaften eines Tätigkeitsmusters dargestellt, welche im jeweiligen Kontext notwendig sind.

1 Welche Form diese Beschreibung hat – ob Text, Audio, Video, etc. - ist dabei selbstverständlich nicht vorgegeben. Tätigkeitsmuster, wenn auch nicht in verarbeitbarer Form, finden sich heute bereits auf https://de.wikihow.com/

Konfigurationen

Eine Konfiguration ist im Allgemeinen die Anordnung und Auswahl von Tätigkeitsmustern zum Zweck einer bestimmten Bedürfnisbefriedigung. Im Verlauf der Textreihe wird allerdings noch eingeführt, wie nicht-Software-vermittelte Zusammenschlüsse ebenfalls Teil solcher Konfigurationen werden können (→ Integrierte Zusammenschlüsse ). Grundlegend ist, dass die Strukturelemente einer Konfiguration – also im Allgemeinen die Tätigkeitsmuster – nur miteinander verbunden werden können, wenn der Bedarf einer Tätigkeit identisch ist mit dem Resultat der folgenden Tätigkeit . Zwischen zwei Tätigkeitsmustern steht also immer das Muster eines Mittels.

Um den Fokus auf die innere Logik eines Commoning-Prozesses zu richten, wird das nicht an einem gegenwärtigen Beispiel verdeutlicht, sondern auf die Produktion eines Mittels zurückgegriffen, welches Marx in seiner Wertformanalyse des Kapitals verwendet hat: Die 20 Ellen Leinwand .1 Durch die Mengenangabe „20 Ellen“ wird klar, dass er damit Leinengewebe und nicht den Kunstbedarf Leinwand meinte, welcher als Stückzahl angegeben wäre. Folgend werden die Begriffe ihrer alltäglichen Verwendung angepasst: Leinwand ist ein Mittel, auf dem gemalt wird und Leinengewebe ist das, was auf einen Keilrahmen gespannt werden und somit eine Leinwand ergeben kann. Sowohl Leinwand als auch Leinengewebe und Keilrahmen sind dabei verschiedene Muster von Mitteln.

Eine Konfiguration beginnt also immer mit einem Bedürfnis und dieses Bedürfnis wird immer durch eine Tätigkeit befriedigt. Das erste Tätigkeitsmuster einer Konfiguration ist daher immer ein Tätigkeitsmuster, das eine bestimmte Bedürfnisbefriedigung als Resultat hat. Im gewählten Beispiel ist das Bedürfnis eine bestimmte Form der künstlerischen Ausdrucks, das nach Angabe der Person, welche das Bedürfnis vermittelt hat (→ Vermittlung von Bedürfnissen ), durch die Verwendung (Tätigkeit T1 ) von Pinseln (M1a), einer Leinwand (M1b) und Farbe (M1c) befriedigt werden kann.

In diesem Beispiel wird die Person, welche diese erste Tätigkeit durchführt, wie selbstverständlich auch die Person sein, welche auch das Bedürfnis vermittelt hat. Selbst wenn diese Person das Bedürfnis vermittelt hätte, über ein Kunstwerk zu reflektieren, würde sie die Tätigkeit des Reflektierens selbst durchführen und das Kunstwerk wäre als Mittel ein Bedarf dieser Tätigkeit. Anders dagegen verhält es sich bei Tätigkeiten, die wir heute als „Dienstleistungen“ bezeichnen oder sich oft auch im Bereich der gegenseitigen Fürsorge finden lassen. Das Bedürfnis nach körperlicher Hygiene einer pflegebedürftigen Person könnte so etwa nicht durch diese Person selbst befriedigt werden. Im Regelfall allerdings, und das bezieht sich wieder auf die konkrete Entwicklung der Software, steht damit die erste Tätigkeit einer Konfiguration nicht zur Selbstzuordnung frei, sondern wird automatisch durch die Person besetzt, welche das Bedürfnis auch vermittelt hat.

Der Bedarf zur Ausführung der im Tätigkeitsmuster beschriebenen Tätigkeit kann entweder verfügbar oder nicht verfügbar sein. Ob ein bestimmtes Mittel verfügbar ist, ist dabei sowohl abhängig von der lokalen Umgebung in welcher der Bedarf vermittelt wird und welche Mittel dort den entsprechenden Nutzungsbedingungen nach für die Tätigkeit verwendet werden dürfen und weiter abhängig von der konkreten Person, welche sich dem Tätigkeitsmuster zuordnet und welche Mittel ihr persönlich zur Verfügung stehen. Erst nach einer Selbstzuordnung zu einem Tätigkeitsmuster kann also festgestellt werden, welcher Bedarf vorhanden ist und welcher Bedarf noch zur Verfügung gestellt und daher vermittelt werden muss.

Jeder Bedarf kann dabei grundsätzlich durch verschiedene Tätigkeiten gedeckt werden. Hierfür sehen wir uns das Tätigkeitsmuster zur Produktion der Leinwand ( Tätigkeitsmuster # HL ) näher an, welches selbst dabei natürlich auch nur eine von vielen Möglichkeiten ist, eine Leinwand verfügbar zu machen. Im Tätigkeitsmuster angegeben sind dabei fünf Bedarfe: (a) einen Hammer, (b) Nägel, ( c) Leinengewebe, (d) Keilrahmen und (e) Spannvorrichtung.2 Wir nehmen an, dass die Mittel Hammer , Nägel und Spannvorrichtung der Person, welche sich der Tätigkeit annimmt, zur Verfügung stehen und die Mittel Leinengewebe und Keilrahmen nicht.

Den Bedarf nach den beiden Mitteln kann die Person selbstverständlich auch außerhalb der Software an andere Personen oder andere Strukturen vermitteln. Wichtig wäre es daher, dass es innerhalb der Software die Funktion gibt anzugeben, wann mit der Verfügbarkeit der Mittel zu rechnen ist, um eine Transparenz des Kooperationsprozesses sicherzustellen. Hier nehmen wir jedoch weiter an, der Bedarf nach Leinengewebe und Keilrahmen wird über die Software vermittelt.

Das Leinengewebe kann zum Beispiel über eine Ortsveränderung von bestehender Leinwand verfügbar gemacht werden (Tätigkeitsmuster #OLg, Tätigkeit T1b1c1). Das entsprechende Muster wäre „ Ortsveränderung von Leinengewebe durch (a) Leinengewebe, (b) Fahrzeug und ( c) Treibstoff3. Eine andere Möglichkeit Leinengewebe verfügbar zu machen, wäre selbstverständlich die Herstellung davon. Das in der Grafik verwendete Tätigkeitsmuster #HLg (T1b1c2) heißt entsprechend: „Herstellung von Leinengewebe durch (a) unbespannten Webstuhl, (b) Scherbaum, ( c) Leinengarn und (d) Patronenpapier “.

Von hier ab weiter zu dem Bedarf an Keilrahmen (M2c): Eine Möglichkeit den Bedarf zu decken kann wieder die Ortsveränderung eines bereits vorhandenen Mittels sein (#OK, T1b1d1). Eine andere Möglichkeit wäre den Keilrahmen aus einer zur Verfügung stehenden (a) benutzten auf Keilrahmen gespannten Leinwand mit einem (b) Messer herauszutrennen (#HtK, T1b1d2). Schließlich kann der Bedarf nach Keilrahmen natürlich auch über deren Produktion gedeckt werden. Das Tätigkeitsmuster #HK (T1b1d3) hieße entsprechend: „Herstellung eines Keilrahmens durch (a) Winkelsäge, (b) Holzleisten, ( c) Nägel und (d) Werkbank.“

Wenn im Beispiel jeder Bedarf der ausgewählten Tätigkeiten (T1b1c1 und T1b1d2) verfügbar ist und auch sonst kein offener Bedarf innerhalb der Konfiguration ansteht, ist die Konfiguration – die Anordnung und Auswahl der Strukturelemente – abgeschlossen und der Kooperationsprozess kann von den jeweils letzten Tätigkeiten her beginnen. Dass sich dabei Konfigurationen durch den Prozess der Selbstzuordnung herausstellen können, die im jeweiligen Kontext sinnvoll und effektiv sind, ist einer der wesentlichen Funktionen der Software. Dieser → Konfigurationsprozess ist Schwerpunkt des dritten Teils der Textreihe.

1 MEW23, S.79

2 Ein notwendiges Mittel für die meisten Tätigkeiten ist ein entsprechender Raum. Um diesen nicht ständig neu aufzuführen und somit den Lesefluss zu behindern, wird in der gesamten Textreihe davon abstrahiert.

3 Die „Ortsveränderung“ ist dabei ein besonderes Muster, da das Resultat der Tätigkeit gleich einem Bedarf der Tätigkeit ist und sich nur die Lokalität des Mittels verändert.

Fähigkeiten

Im Gegensatz zur im nächsten Kapitel beschriebenen Qualifikation, sind Fähigkeiten auf Softwareebene keine Bedingungen, um bestimmte Tätigkeiten ausführen zu können. Die Definition von Fähigkeiten hilft vielmehr dabei, den Gesamtprozess übersichtlicher zu gestalten und die Selbstzuordnung zu vereinfachen.

Fähigkeiten werden dabei als Tätigkeiten verstanden, deren Ablauf verinnerlicht ist. Es sind also Handlungen, die Beteiligte prinzipiell ohne die Beschreibung im jeweiligen Tätigkeitsmuster durchführen können bzw. nach eigener Einschätzung wissen, was bei den entsprechenden Problemen getan werden muss. Auf Softwareebene werden sie daher auch durch Tätigkeitsmuster definiert und welche Tätigkeit dabei als verinnerlicht betrachtet wird, liegt ganz im Ermessen des jeweiligen Anwenders bzw. der jeweiligen Anwenderin. Diese Markierung als „verinnerlicht“ wird dabei in der sogenannten Bibliothek vorgenommen. In der Bibliothek werden dabei sämtliche Tätigkeitsmuster gespeichert, denen sich prinzipiell angenommen werden kann. Einerseits können diese manuell ausgewählt und dort abgespeichert werden, anderseits können sämtliche Tätigkeitsmuster automatisch dorthin übertragen werden, welchen sich mindestens einmal erfolgreich angenommen wurde.

Diese Bibliothek hat neben der Definition von Fähigkeiten noch eine weitere relevante Funktion: Tätigkeitsmuster können entsprechend markiert werden, ob ihnen gerne oder nicht gerne nachgegangen wird. Je nachdem kann die Person durch die Software benachrichtigt werden, sobald eine Tätigkeit freigeschalten wurde (→ Konfigurationsprozess), an welcher Interesse besteht oder die Person wird, wenn überhaupt, erst benachrichtigt, wenn die Tätigkeit eine hohe → Wichtigkeit hat.

Durch Fähigkeiten werden schließlich komplexe Tätigkeit smuster definiert. Um das verständlich zu machen, wird weiter auf die Produktion von Leinengewebe zurückgegriffen, welche auch Marx in seiner Wertformanalyse verwendet hat. Wie wird also so ein Leinengewebe klassischerweise (und an dieser Stelle natürlich stark vereinfacht) hergestellt? Die Anmerkungen in Klammern verweisen dabei auf die entsprechende Grafik und zum einfacheren Verständnis sind die neuen Tätigkeitsmuster schlicht mit b-g beschriftet:

Damit das Leinengarn (a) im Webstuhl verarbeitet werden kann, müssen die Fäden des Garns erst die gleiche Länge und die richtige Reihenfolge erhalten. Dafür wird es auf den Scherbaum (b) aufgespannt ( Tätigkeitsmuster # g ). Das so bearbeitete Leinengarn wird schließlich als Kette (a) bezeichnet. Diese Kette wird schließlich auf den bisher unbespannten Webstuhl (b) gespannt ( Tätigkeitsmuster #f ). Im Webprozess werden aus dieser Kette die vertikal verlaufenden Fäden des Gewebes entstehen. Ein weiteres Leinengarn (a) wird schließlich gemäß einer Leinwand-Bindungspatrone (b) durch die Litzen und Blätter des mit Kette bespannten Webstuhls ( c) gestochen. Die Leinwand-Bindungspatrone gibt dabei vor, wie die Fäden durch den Webstuhl verlaufen müssen, damit am Ende das gewünschte Gewebemuster herauskommt ( Tätigkeitsmuster #e ). Durch den damit vollständig bespannten Webstuhl (a) kann die Leinwand hergestellt werden ( Tätigkeitsmuster #d ). Falls notwendig, wird die Leinwand-Bindungspatrone zuvor erst mit Hilfe eines Patronenpapiers (a) erstellt ( Tätigkeitsmuster #c ).

Was bedeutet es, wenn das im Kapitel „Konfigurationen“ verwendete Tätigkeitsmuster „Herstellung von Leinengewebe durch (a) unbespannten Webstuhl, (b) Scherbaum, ( c) Leinengarn und (d) Patronenpapier ( T1b1c2 bzw. #HL g ) heißt? Es bedeutet, dass sämtliche gerade angerissenen Tätigkeiten im selben Muster enthalten sind. In der Grafik sind dabei die Tätigkeitsmuster d-g im komplexen Tätigkeitsmuster b zusammengefasst, aber erst Muster b ergibt zusammen mit Muster c die uns bereits bekannte Tätigkeit T1b1c2 bzw . Tätigkeitsmuster #HL g . Ein komplexes Tätigkeitsmuster besteht damit ausschließlich aus der Kombination einfacher Tätigkeitsmuster. Es kommen darin keine neuen Informationen vor – es ist die Zusammenfassung der Informationen der untergeordneten Muster. Und falls neue Informationen doch notwendig sind, dann müssen diese in Form eines vorläufigen Tätigkeitsmusters angelegt werden, in welchem Resultat und Bedarf klar ersichtlich werden und für welches außerdem der Aufwand (→ Aufwandsbestimmung ) gesondert herausgestellt werden kann. 1

In der ersten Grafik des Kapitels ist außerdem die Bibliothek einer bestimmten Person zu sehen, in welcher die Tätigkeitsmuster #d-g bereits als Fähigkeiten markiert sind. Das heißt, die Person kann sowohl bei diesen Tätigkeiten benachrichtigt werden, als auch bei dem Tätigkeitsmuster #b, da dieses lediglich die Tätigkeitsmuster #d-g zusammenfasst. Dagegen ist die Person – zumindest ihrer eigenen Einschätzung nach und soweit es innerhalb der Software ersichtlich ist – nicht befähigt, sich der im Tätigkeitsmuster #HLg beschriebenen Tätigkeit anzunehmen, da hierfür Tätigkeitsmuster #c als Fähigkeit markiert sein muss. Ob diese Person sich dem Tätigkeitsmuster #c generell annehmen kann ist nicht ersichtlich und wäre eine Frage, welche → Qualifikation en in diesem vorausgesetzt sind.

Über Fähigkeiten werden Tätigkeiten also auf Softwareebene in kleinere Schritte geteilt bzw. werden einzelne Tätigkeiten zusammengefasst. Da prinzipiell jedes Tätigkeitsmuster als Fähigkeit markiert werden kann, kann sich prinzipiell auch jedem komplexen Tätigkeitsmuster zugeordnet werden. Vorausgesetzt ist hier jeweils, dass die definierten Qualifikationen der darin enthaltenen Tätigkeitsmuster gegeben sind. Die Definition von Fähigkeiten hilft dabei den Beteiligten den Gesamtprozess einerseits schneller erfassen und sich leichter einbringen zu können, anderseits den organisatorischen Aufwand zu minimieren, welcher mit der Selbstzuordnung zu vielen kleineren Tätigkeiten unbedingt zusammenhängt.

Hierzu eine kurze Anmerkung zu den → Details von Tätigkeitsmustern : Dasselbe durch Resultat, Bedarf und Aufwand definierte Tätigkeitsmuster hat im besten Fall eine Vielzahl von unterschiedlichen Beschreibungen für denselben Prozess. Die Sprache ist dabei natürlich ein wesentlicher Punkt, aber genauso die Form der Darstellung (als Textbeschreibung, Video, etc.) oder etwa das Detailreichtum der Beschreibung. Gibt es etwa eine zusätzliche sehr knappe Beschreibung eines Musters und ist diese entsprechend definiert, kann die Beschreibung eines komplexen Tätigkeitsmusters automatisch generiert werden, indem diese knappen Beschreibung aneinander gehängt werden.

Da ein komplexes Tätigkeitsmuster lediglich eine Verschachtelung von einfacheren Tätigkeitsmustern ist, ist sowohl der Bedarf als auch Aufwand (→ Aufwandsbestimmung ) genau gleich. Der Aufwand eines komplexen Tätigkeitsmusters ist daher auch die Summe des Aufwandes der darin enthaltenen einfachen Tätigkeitsmuster. Und da ein Tätigkeitsmuster immer die eindeutige Beschreibung eines Prozesses ist, sind weiter auch die Tätigkeitsmuster, welche als dessen Fähigkeiten definiert sind, immer eindeutig. Tätigkeitsmuster #HL g aus dem Beispiel wird immer die in den Tätigkeitsmustern #b und #c beschriebenen Prozesse beinhalten, wie auch #b immer die in den Tätigkeitsmustern #d-f Prozesse beinhaltet. Einzelne Tätigkeitsmuster selbst können dagegen als Fähigkeiten in unterschiedlichen anderen (komplexen) Tätigkeitsmustern definiert sein.

1 Ein solches vorläufiges Tätigkeitsmuster kann damit direkt mit einem roten Link auf Wikipedia verglichen werden, wenn dieser „Link“ allerdings die beschriebenen Bestimmungen schon erfüllen muss.

Qualifikationen

Während Fähigkeiten frei gesetzt werden können, braucht es bei der Qualifikation eine äußere Instanz, welche die Erlaubnis erteilt, sich bestimmten Tätigkeiten überhaupt annehmen zu dürfen. Notwendig kann das in unterschiedlichen Situationen sein: Eine Tätigkeit kann den Umgang mit sensibler Technik beinhalten, deren Beschädigung einen großen Aufwand zur Wiederinstandsetzung nach sich ziehen würde. Oder die Tätigkeit ist an sich nicht schwierig, aber beinhaltet gefährliche Chemikalien, welche bei fehlerhafter Handhabung zu erheblichen Gesundheitsproblemen führen können. Genauso sollte sichergestellt werden können, dass sich bei Tätigkeiten an Menschen – wie etwa in der Chirurgie oder der Erziehung – nur Personen mit dem notwendigen medizinischen oder pädagogischen Verständnis zuordnen können. Aber auch im Bereich der Produktion symbolischer Mittel kann es problematisch sein, wenn Personen sich Tätigkeiten zuordnen, welche ihre eigene Kompetenz überschreiten: Der ganze Prozess einer Bedürfnisbefriedigung kann aufgehalten werden, wenn etwa ein Programmierer sich selbst überschätzt und die Tätigkeit anderer Personen auf dessen Code aufbaut.

Die Definition von notwendigen Qualifikationen für Tätigkeitsmuster scheint daher unerlässlich, wirft aber Fragen auf, welche Autorität und welche Strukturen die Qualifikationen innerhalb einer Gesellschaftlichkeit von Gleichrangigen möglichst allgemeingültig zertifizieren können. Innerhalb dieser Softwarekonzept-Reihe sollen diese Fragen nicht beantwortet werden. Was auf Vermittlungsebene nur gesagt werden kann: Es ist möglich – und notwendig – bestimmte Tätigkeitsmuster mit einer allgemeingültigen Qualifikation als Voraussetzung dafür zu beschreiben. Auf Seite der Beteiligten muss es in diesem Fall eine Bibliothek von Qualifikationen geben, in welcher die eigenen Qualifikationen festgehalten sind. Auf Ebene von Gleichrangigen ist außerdem möglich, dass Beteiligte Anfragen zum Erlernen bestimmter Qualifikationen stellen und diese Anfragen durch Personen ausgelesen werden können, welche die Qualifikation besitzen und autorisiert sind – in welcher Weise auch immer – diese Qualifikation weiterzugeben.

Stand: 3.Juni 2020