Über die Wichtigkeit

Wenn wir den Rahmen aus Systematik der Trava annehmen, ergibt sich daraus die Frage nach der Wichtigkeit. Wie sinnvoll oder wichtig ist eine Tätigkeit für den Gesamtprozess, also für das ganze System?

Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Wichtigkeit einer Tätigkeit in irgendeiner Form aus der Wichtigkeit der (nachgelagerten) zu befriedigenden Bedürfnisse ergibt, müssen wir mindestens die folgenden zwei Fragen klären:

  1. Wie können wir die Wichtigkeit eines Bedürfnisses ermitteln oder festlegen?
  2. Wie können wir von der Wichtigkeit eines Bedürfnisses auf die Wichtigkeit der vorgelagerten Tätigkeiten schließen, die potentiell dazu beitragen, dieses und mögliche andere Bedürfnisse zu befriedigen?

Zur ersten Frage: Im Rahmen wird vorgeschlagen, dass Menschen mehrere Reputationsskalen haben könnten (drei sind vorgeschlagen, es könnten später auch noch mehr werden). Wenn jemand auf allen Ebenen der Reputation gut darsteht, so sollte es* zumindest die Möglichkeit haben, seinen Bedürfnissen eine hohe Wichtigkeit zu geben. Die Bedürfnisse von Benutzern mit weniger Reputation oder einer guten Reputation nur in einigen Bereichen sind tendenziell weniger wichtig für ein dauerhaftes und effizientes Gesamtsystem.

Guter Thread

Ist jetzt natürlich eine eher sprachliche Anmerkung: „Wir“, die die Software konzeptionieren/entwickeln, sollten das natürlich gar nicht festlegen, sondern die Möglichkeit bereitsstellen, dass die beteiligten Personen selbst die Wichtigkeit ihrer Bedürfnisse festlegen können.

Ich denke, dass der Prozess unabhängig von den Reputationsskalen ist. Können wir soweit einigen, dass Beteiligte ihre Bedürfnisse der Wichtigkeit relativ zueinander festlegen (10%, 25%, etc.) und über die Reputationsskalen im Hintergrund die Tätigkeiten entsprechend gewichtet werden? Ich denke, dass auch eine Einteilung der Wichtigkeit eigener Bedürfnisse in einzelne Kategorien („Sehr wichtig“, „wichtig“, „nicht so wichtig“, etc./o.ä.) auf dasselbe hinauslaufen würde, sprich: Im Hintergrund hätten die Bedürfnisse genauso einen Prozentwert bzw. könnten sich als ein solcher ausdrücken lassen.

Ja.

Eingeschränktes Ja. Ich finde es wichtig hier festzuhalten, dass wir uns bisher nur auf Software-vermitteltes-Commoning beziehen und im „darüber hinausreichenden Gesamtsystem“ gibt es Personen, die genauso wichtig sein können, aber sich eben nicht über die Software vermitteln - und trotzdem von den Software-vermittelten Strukturen abhängig sein können, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Wir müssen meiner Meinung nach auf jeden Fall verhindern, dass eine ähnliche Trennung wie entsteht, wie es sie heute zwischen Produktion und Reproduktion/Care gibt. (Die Trennung wurde im Timeless Way nicht gemacht, da ja darin das Gesamtsystem als Software-vermittelt behandelt wird)

Der Satz würde allerdings stimmen, wenn nicht-Software-vermittelte Tätigkeit(en) ebenfalls durch einen Reputationswert innerhalb der Softwareebene festgehalten werden könnte(n). Wie das möglich ist, wäre dann eine andere Frage.

hier nochmal aus deiner Zusammenfassung in der Trava-Systematik:

Bisher sehe ich das immer noch die Tätigkeitsgewichtung aus dem dritten Teil der Textreihe unproblematisch, wenn sie auch - und das finde ich jetzt spannend mit der Aufteilung der Reputation - für die Sortierung erweitert werden kann.

Ich denke, Beteiligte sollten einstellen können, was ihnen persönlich wichtig ist. Zum Beispiel: „Wie wichtig ist es mir, dass die Personen, deren Bedürfnisse durch meine Tätigkeit befriedigt werden, Nachbarn sind?“. „Wie wichtig ist es mir, dass die Personen selbst schon lange aktiv sind?“. „…, dass sie Teil meines sozialen Netzwerkes sind?“. etc. pp.

Je nachdem könnte dem Bedürfnisgewicht von Personen, auf welche diese Kriterien zutreffen, für mich sozusagen „virtuell“ steigt . „Virtuell“ ist in unserem Kontext natürlich Quatsch zur Differenzierung, aber ich hoffe, es wird klar, was gemeint ist:

Das heißt: Eine alte Dame im Nebenhaus vermittelt ein Bedürfnis, das ein Gewicht von 120 Punkten erhält. Mir ist es sehr wichtig, für meine Nachbarn da zu sein (+20%). Dann ist es mir eher wichtig, für ältere Personen da zu sein (+10%). Für mich hat das Bedürfnis damit ein virtuelles Gewicht von 156., während das reale Gewicht weiterhin 120. bleibt. Und wie auch bei der Tätigkeitsgewichtung, legt sich dieses virtuelle Gewicht auf die Tätigkeiten um, die zur Befriedigung davon notwendig sind. Für mich werden die Tätigkeiten dann ihrem virtuellen Gewicht nach sortiert und möglichst verdeutlicht, was das konkret bedeutet (Vereinfachter Fall: Wenn mir die Bedürfnisse meines sozialen Netzwerkes wichtig sind, sehe ich, welche meiner facebook/mastodon-Freunde von meiner Tätigkeit profitieren.) Wichtig aber: Nur das reale Gewicht der Tätigkeit hat Einfluss auf das Gewicht meiner eigenen Bedürfnisse! Alles andere wird nicht über die Software „belohnt“, sondern die „Belohnung“ ist hier schlicht, dass ich das tue, was mir wichtig ist. In der Softwarevermittlung dagegen zählt nur die Effizienz zur generellen Bedürfnisbefriedigung.

Ich denke, wir können so trotz dieser rein quantitativen Gewichtung eine größere Bandbreite als die reine Effizienz erreichen und wenn wir es schaffen darzustellen, was diese virtuelle Zahl in Hinsicht auf die eigenen Prioritäten bedeutet, dann haben wir auch eine höhere Transparenz.

Ich finde es übrigens gut und stimme dir gerade voll zu, den diffusen „Trava“-Begriff mal sein zu lassen und besonders sich auf die Wichtigkeit zu fokussieren. Das ermöglicht wirklich ein anderes denken.

Also: Wie wichtig ist eine Tätigkeit im gesellschaftlichen Re-Produktionsprozess?

Und dann gibt es natürlich mehrere Faktoren:

  • Auf wie viele Bedürfnisse verweist die Tätigkeit?
  • In welchen Abhängigkeitsverhältnissen stehen die Personen, die mit der Tätigkeit unterstützt werden?
  • Inwiefern bringen sich diese Personen selbst in den gesellschaftlichen Prozess ein?

Ein Beitrag wurde in ein existierendes Thema verschoben: Systematik der Trava:

Das gefällt mir gut, Faktoren sammeln. :slight_smile:

Könnte eine Tätigkeit wichtig sein, wenn sie beispielsweise die letzte in einer Produktionskette ist, der sich noch niemand zugeordnet hat?

Falls jemand moderieren möchte: Wir haben einen Thread Über die Wichtigkeit.

Während des Konfigurationsprozesses ist jede Tätigkeit einmal die letzte in der Produktionskette. Was wir machen können ist zu sagen, dass eine Tätigkeit an Wichtigkeit gewinnt, wenn viele andere auf eine Zuordnung warten. Entweder dann wirklich über die „Entfernung“ zum Bedürfnis oder über den zeitlichen Abstand zur Bedürfnisvermittlung (je länger ein Bedürfnis unbefriedigt ist, desto wichtiger wird es, dass sich jemand dem annimmt). Ich denke, wenn wir von dem Kreislaufsystem wegkommen, haben wir da tatsächlich mehr Möglichkeiten, so etwas zu bestimmen.

Wahrscheinlich macht es Sinn, nicht (nur) über die Wichtigkeit der einzelnen Tätigkeiten zu reden, sondern ganz allgemein, was wichtig ist (in unserem Kontext). Und ganz große wäre natürlich

  • Unabhängigkeit von persönlichen und sachlichen Herrschaftsstrukturen

Also zu unterstützen, dass keine anderen Menschen über einen entscheiden können und, dass Geld bzw. das Geld-verdienen nicht darüber bestimmt, wie das eigene Leben geführt wird (wobei für uns wohl die Unabhängig von Geld die tragende Rolle spielt). Ich denke, das von der Perspektive zu betrachten ändert einiges. Wenn die Miete etwa einen großteil des Lohn einnimmt, ist das reale Arbeitszeit (vielleicht 10-15 Stunden in der Woche), die jemand leisten muss und ihn/sie erschöpft, während er/sie auch Commoning betreiben könnte. Wenn es also jemand schafft mietfreies Wohnen im Sinne von Wohnraum als Commons zur Verfügung zu stellen (Als Bauarbeiter:in oder über einen politischen Prozess) ist etwas wichtiges geschafft worden und sollte auch entsprechend Anerkennung finden (was immer das bedeutet).

Ich finde es gerade fast ein wenig lächerlich, dass ich als Anwender sagen muss: „Mietfreier Wohnraum ist mir 5% wert“ … und die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person dann auch mietfrei leben kann, ist mitunter sehr gering - es wird ja nicht ständig privates Eigentum an Wohnraum in Commons-Strukturen überführt und auch nicht ständig Häuser durch das Mietshäuser-Syndikat übernommen, in denen dann auch noch ansprechender Wohnraum frei ist.

Was mir reichen würde: Irgendwo in der Software beantworte ich die Frage: „Ist dir mietfreier Wohnraum wichtig?“ und wenn ich „ja“ sage, kann ich meinen Anspruch angeben und dann ist gut - dann habe ich nichts mehr damit zu tun. Und wenn wirklich Wohnraum als Commons frei wird, der zu meinem Anspruch passt, dann werde ich benachrichtigt und ich kann mit anderen - die ihn ebenfalls verwenden wollen - in einen sozialen Prozess treten und wir klären untereinander, wer ihn bekommt oder wie wir Konflikte sonst lösen können. Und da können mir diese Reputationswerte richtig helfen, auch wenn sie auf die Softwarestruktur keinen Einfluss haben. Das ist dann einfach ein Punkt in dieser Diskussion, das die eine Person „viel für andere getan hat“ o.ä. Aber ein anderer Punkt, der bestimmt fallen wird, ist zum Beispiele die Familiensituation, in welcher die Beteiligten gerade sind. Und die eine ist gerade mit Reputation überhangen, aber der andere hat drei Kinder - die Reputation mag in der Diskussion auf jeden Fall eine Rolle spielen, aber wie diese Situation geklärt wird ist völlig offen.

Das hatte ich bist jetzt gerade auch gar nicht so richtig auf dem Schirm: Wenn ein Mittel zur Verfügung gestellt wird und es zig Menschen bei ihrer Bedürfnisbefriedigung hilft, dann ist ja überhaupt noch nicht ausgemacht, wer es bekommt. Das kann dann damit ausgemacht werden, „wer das Bedürfnis am höchsten gewichtet hat“, aber ja genauso „wers halt gerade mehr braucht“. Oder, wenn es sich nicht gerade um eine Wohnung handelt, wie es möglichst viele gemeinsam verwenden können. Das sind ja alles soziale Prozesse, denen wir höchstens eine Kommunikationsplattform zur Verfügung stellen können.

Tatsächlich habe ich jetzt das erste Mal das Gefühl, das wirklich ernst zu nehmen: Zwischen allen Tätigkeitsmuster ist ein sozialer Prozess und immer wieder neue Absprachen zwischen Beteiligten. Es geht also lange nicht nur um die Reputation der Bedürfnissteller:innen, sondern genauso um die Personen, die Bedarfe stellen. Auch sie wollen Mittel, die von anderen zur Verfügung gestellt werden, um sich den eigenen Tätigkeiten annehmen zu können (die ja auch wieder zu ihrem Vorteil sein können etc.). Wie wichtig die Bedürfnisse also sind, für welche die Tätigkeiten stattfinden, ist wirklich nur ein roter Faden, aber muss nicht das wesentliche sein. Die Richtung des Re-Produktionsprozesses entscheidet sich auch über die Reputation derjenigen, welche die Tätigkeiten ausführen. Oder eben an deren Lebenssituation. Das „Care“ findet auch in den sozialen Prozessen statt, wenn es darum geht, wer ein Mittel verwenden kann. Können wir unterstützen, dass Lösungen gefunden werden können, die für alle zufriedenstellend sein können? Wie sehen Absprachen in diesem Raum aus? Kann ich jemanden zusagen, dass wenn Wohnraum frei wird, er vor seiner Seite aus ihr den Vortritt lassen würde, auch wenn das, worum es gerade geht, etwas vollkommen anderes ist (irgendein Bedarf in irgendeinem Prozess)? Solche Absprachen müssen wir einfach nur transparent machen können, damit - wenn es der Fall wird und ein soziale Prozess über die Verwendung eines frei gewordenen Wohnraums entsteht - diese Absprache allen einsichtig ist. Und vielleicht wird sich trotzdem gegen diese Absprache entschieden - aber wie eine Reputation ist sie sichtbar und steht im Diskurs.

Mit dem Hintergrund finde ich es fast schon lächerlich darüber nachzudenken, spezfische Bedürfnisse zu gewichten. Wenn ich sage „ich finde Brötchen wichtig“, dann unterstütze ich im besten Fall nur, dass mehr Menschen Brötchen zur Verfügung stellen - aber es ist immer noch nicht gesagt, ob ich welche davon bekomme. Wieder: Da muss ich in einen sozialen Prozess, wie auch immer dieser aussehen mag. Das muss ja keine tägliche Auseinandersetzung sein - so eine Abmachung kann ja über Jahre bestehen bleiben und erst in Krisenzeiten müsste das vielleicht neu diskutiert werden.

Die Konsequenz soweit ist eigentlich nur: Das Gewicht der Tätigkeiten etc. ist gar nicht so riesig wichtig für mich und wenn diese Zahlen auch als roter Faden vielleicht bestehen bleiben, ist die persönliche Reputation (ohne irgendwelche Auswirkungen auf die Softwarestruktur) viel wichtiger.

Spannend. Und wenn ich an unsere Diskussionen der letzten Wochen zurückdenke, habe ich das Gefühl, dass ihr das wesentlich mehr auf dem Schirm hattet als ich :slight_smile:

Vielen Dank auf jeden Fall für den Anstoß das neu zu denken. Ich für mich jedenfalls meine gerade einen riesen Schritt gemacht zu haben, um unsere breit gestreute Diskussion neu denken zu können.

Nachtrag: Soweit ich das sehe löst das ja auch diese dämliche Problematik mit Leuten die sich über die Software vermitteln und solchen, die sich nicht über die Software vermitteln (also grob zwischen Produktion und Care). Wenn die Mittel keine klaren Adressaten haben, aber klar ist, dass sie gebraucht werden und immer am Ende ein sozialer Prozess steht - dann werden Leute, die andere pflegen zum Beispiel, auf natürlichere Weise mit einbezogen. Wenn die Person eine Geschichte erzählt, wie sie jeden Tag alte Menschen durch ihr Leben begleitet, wird sie bestimmt nicht solchen gegenüber benachteiligt, die sich fleissig digitale Punkte zusammengespart haben (klar, ich übertreibe - aber ihr wisst, was ich meine). Den sozialen Prozess zwischen den Tätigkeitsmustern ernst nehmen und unterstützen verändert alles.