Fairness

Ich finde Marcus’ Niederschrift fühlt sich schon gut an! Im Kern stecken da zwei Sachen drin:

  1. Fairnessempfinden kann sich über die Zeit verändern
  2. Fairnessempfinden kann sich von Person zu Person unterscheiden

Bemerkenswert finde ich dabei folgendes: Nach dem oben beschriebenen Mechanismus beeinflusst man die Reihenfolge der Tätigkeiten, wie sie einem selbst angezeigt werden. Unbeeinflusst bleibt aber die Reihenfolge, wie sie anderen angezeigt wird. Ich könnte also sagen, dass ich vor allem Menschen unterstützen will, deren Bedürfnisse zuletzt kaum berücksichtigt wurden. Wenn meine eigenen Bedürfnisse zuletzt ebenfalls kaum berücksichtigt wurden, ist damit aber nicht gesagt, dass sie zukünftig wichtiger werden. Das liegt in der Hand der anderen. Ähnlich, wenn ich diejenigen unterstützen will, die viel tun, dann werde ich nicht automatisch deswegen unterstützt, weil ich selbst viel tue. Ich frage mich also, ob es „reicht“, da Fairness vielleicht manchmal davon abhängt, dass andere etwas für einen selbst machen.

Zur Frage, was dann da alles in welchem Detailgrad berücksichtigt werden kann/soll, weiß ich gerade noch keine Antwort.

Neben den „harten“ Einstellungsmöglichkeiten sehe ich noch einige „weiche“ Variablen, die beeinflussen können, wie fair ich eine Situation gerade finde. Ich würde das mal „Kommunikation und Framing“ nennen. Bekomme ich z. B. mit, das andere auch etwas tun? Oder sehe ich, was meine Tätigkeit bewirkt: Ich könnte informiert werden, wenn Menschen Tätigkeiten durchführen, die ich durch meine Tätigkeit erst möglich gemacht habe. Und wenn dann schließlich Bedürfnisse erfüllt werden, sehe ich auch, dass ich daran beteiligt war. Und Benachrichtigungen sind vermutlich nur am Anfang cool (später eher störend), man könnte das also auch auf der „Startseite“ oder einer speziellen Übersichtsseite sehen.

Oder es gibt eine niederschwellige Möglichkeiten, „Danke“ zu sagen, vergleichbar mit den Discourse-Herzen oder dem „Danken“-Knopf bei Wikipedia. Oder man könnte die Kriterien angezeigt bekommen, aufgrund derer sich andere Menschen gerade eigener Tätigkeiten angenommen haben.

Jede Entscheidung, etwas sichtbar zu machen oder nicht anzuzeigen, hat mMn Einfluss auf Fairnessempfinden und Zufriedenheit. Vergleich WG: Wenn mir wichtig ist, dass andere auch mithelfen, dann möchte ich die Mithilfe auch sehen. Angenommen, man würde auf einem App-Bildschirm direkt sehen können, wiel lange andere für mich gearbeitet haben vs. wie lange ich für andere gearbeitet habe, legt das eine bestimmte Sichtweisen nahe (und ist keine „neutrale“ Design-Entscheidung und vielleicht auch keine, die ich gut fände). Oder angenommen, man sieht eine große Liste aller Bedürfnisse, an denen man beteiligt war, inklusive eigener. Dann hat das für sich genommen auch schon Einfluss.

Ein Marktplatz kann nach bester Tauschlogik funktionieren und trotzdem durch die passende Hervorhebungen und Auslassungen das Erlebnis suggerieren, man sei halbe*r Altruist*in, mal überspitzt gesprochen. Und man kann aus einer Küche Für Alle nach dem Schnibbeln rausgehen und sich richtig mies fühlen, weil man nur den Moment mitbekommen hat, in dem das Essen aus war. Die Reihenfolge der Tätigkeiten – genauso wie die Anzeige einer persönlichen Zahl neben jeder Tätigkeit – ist also nur eine von vielen Möglichkeiten, (a) das Fairnessempfinden allgemein zu beeinflussen und (b) sich im Durchschnitt fairer oder unfairer behandelt zu fühlen.

Ich denke, ich bin im Prinzip bei Dir. Wenn jemand sagt, die Mitarbeit fühlt sich gerade gut an, ist es (erst einmal) egal, ob ein Algorithmus behauptet, dass diese Person übervorteilt oder vernachlässigt wird. Wichtig ist, was das „Bauchgefühl“ sagt. Aber es ist eben nicht vollkommen unvorhersehbar, was das Bauchgefühl sagt, und dieser Teil Vorhersehbarkeit soll behutsam abgebildet werden. Behutsam aus zweierlei Gründen:

  • unser aktuelles Fairnessempfinden reproduziert aktuelle Exklusionsmechanismen
  • unser Fairnessempfinden wird nicht nur durch inhaltliche, sondern auch durch formale Aspekte beeinflusst (Nudging, Manipulation)

Daraus ergeben sich zwei Herausforderungen:

  • problematische Fairnessbegriffe: Gibt es das? Kann man dem entgegen wirken?
  • Design-Entscheidungen: Was machen wir (un-)sichtbar?
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