Der Ausdehnungsdrang moderner Commons (2/2)
Der Ausdehnungsdrang moderner Commons (1/2)
10_Interpersonales und transpersonales Commoning als parallele Funktionen
Spätestens mit der äußeren und objektiven Bedürfnispriorisierung wird klar, dass es sich bei dem transpersonalen Commoning nicht um eine Veränderung der Keimform auf Basis der interpersonalen Ebene handelt, sondern um einen parallel dazu verlaufenden Prozess im Sinne des Fünfschritts nach Klaus Holzkamp (Grundlegung der Psychologie [GdP], S. 78-81. Einführend: M/S, S. 202-205). Transpersonales und interpersonales Commoning sind verschiedene, aber sich ergänzende Beziehungen der Einzelnen zur Gesellschaft (Funktionen), die aus den selben kapitalistischen Entwicklungswidersprüchen heraus resultieren, aber auf verschiedenen Vorbedingungen aufbauen. Die zu erreichenden Qualitäten – Freiwilligkeit und kollektive Verfügung innerhalb von Re/Produktionsprozessen zur Befriedigung von Bedürfnissen (vgl. M/S, S.210) – sind dieselben. Folgend soll dargestellt werden, inwiefern sich beide Prozesse ergänzen und unterscheiden.
Vorbedingungen für den Umschlag der Quantität zur Qualität bei Meretz und Sutterlütti sind besonders die Intersubjektivität („[…] die Bedürfnisse anderer Menschen wahrnehmen und zur Prämisse des eigenen Handelns machen“ [M/S, S.210]), die Erkenntnisdistanz („Wir sind unseren Wahrnehmungen, Emotionen und der Welt nicht direkt ausgeliefert, […]“ [M/S, S.211]) und die verallgemeinerte Motivation („Unsere Motivation kann auch die Bedürfnisse anderer Menschen einbeziehen und zwar sogar Bedürfnisse »allgemeiner Anderer«, also von Menschen, die wir gar nicht kennen“ [ebd.]). All das sind allgemein-menschliche Voraussetzungen, die nicht von einer kapitalistischen Entwicklung abhängig sind. Zwar wird folgend auch „ globale Vernetzung“ (ebd.) und eine „ Technikentwicklung“ (M/S, S.212) angesprochen, wobei sie „diese historischen Vorbedingungen im Konjunktiv belassen“ (M/S, S.211) und die für die weitere Entwicklung ihrer Keimform keine Rolle spielen.
Dagegen baut das transpersonale Commoning besonders auf den historische entstandenen Qualitäten einer kapitalistischen Gesellschaft auf: Die durch Verwertungslogik erreichten Mittel zur globalen Kommunikation und arbeitssparenden Produktion , die allgemein-zugängliche gesamtgesellschaftliche Vernetzung (wenn ihr auch durch die in Konkurrenz zueinander stehenden Produktionen Schranken gesetzt sind) und die fortschrittliche Kooperation zum gesellschaftlichen Gesamtproduk t.
Die „objektiven Veränderungen der Außenweltbedingungen“ (GdP, S.79) bzw. die Entwicklungswiderspr üche , welche innerhalb einer Gesellschaft subjektiv empfunden werden (vgl. M/S, S.212), sind für die interpersonale und transpersonale Funktion gleichermaßen in der Entwicklung des kapitalistischen Systems zu finden. Als subjektiv empfundenen Widersprüche, also Widersprüche zwischen „den Bedürfnissen der Menschen und den gesellschaftlichen Möglichkeiten ihrer Befriedigung“ (M/S, S.212) nennen Meretz und Sutterlütti etwa die s oziale Isolation , Umweltzerstörung, verunmöglichte Familienplanung en und Angst vor einem möglichen Ausschluss vom gesellschaftlichen Gesamtprodukt (vgl. M/S, S.214). Als objektive Veränderung in Bezug auf Klassen wären noch die stetige Zunahme von Menschen in der Situation der Lohnabhängigkeit zu nennen, bei stetiger Abnahme der Handlungsmöglichkeiten für einzelne Lohnabhängige . Die erwähnten Außenweltbedingungen gelten dabei nur in Bereichen, welche als Wert erschlossen sind. Gesellschaftsteilnehmer, die sich zunehmend der Commons-Struktur zuwenden, erlangen dort eine Unabhängigkeit von der kapitalistischen Produktion, damit speziell von ihren Krisen und allgemein ihrer ausschließenden Logik.
Was durch den Entwicklungswiderspruch aus den Vorbedingungen für Meretz und Sutterlütti als „ Keimform des Commonismus“ (M/S, S.219) hervorgeht, sind die „Inklusionsbedingungen auf interpersonaler Ebene“ (ebd.). Wie zu Beginn dieses Textes gezeigt wurde, kann diese Keimform nicht ausreichend sein, damit Commoning gesellschaftlich bestimmend wird. Während die interpersonale Keimform von Meretz und Sutterlütti auf Räumen aufbaut, in denen durch Freiwilligkeit und kollektiver Verfügung Bedingungen herrschen, in denen es sinnvoll ist, die Bedürfnisse anderer in das eigene Handeln mit einzubeziehen, ist die Herstellung der Funktion des transpersonalen Commonings ein bewusster Prozess, bedingt durch die historisch gewordenen Fähigkeiten des Menschen und den Fortschritt der Technik im kapitalistischen Konkurrenzdruck. Dieser qualitative Sprung entsteht somit nicht von selbst, sonder er wird gemacht, das heißt, er wird konstruiert und programmiert. Die neue Spezifik ist das Programm als zentrale Instanz zur Selbstorganisation und Zwecksetzung gesellschaftlicher Mittel. Mit den dadurch ermöglichten Beziehungen der Einzelnen zur Allgemeinheit, also mit einer transpersonalen Vermittlung als elementare Handlungsweise, kann schließlich das bestehende System gestützt werden (siehe auch Kapitel „Dominanzwechsel 2: Ausdehnung…“).
Wichtig werden folgend die Unterschiede des interpersonalen und transpersonalen Commonings im Dominanzwechsel – also dem zweiten qualitativen Entwicklungsschritt, indem „alte und neue Funktion ihre Position [wechseln]: Die neue Funktion setzt sich durch und bestimmt fortan die Dynamik des Systems, die alte Funktion tritt zurück“ (M/S, S.205). Nach Klaus Holzkamp ist dabei zu beachten, dass sich „der Übergang zur neuen Entwicklungsstufe nicht auf einer einzelnen Dimension vollzieht, sondern die Umkehrung des Verhältnisses zweier für sich kontinuierlich veränderter Dimensionen darstellt“ (GdP, S.80). Weiter: „Eine solche Umkehrung des Verhältnisses zwischen bestimmender und nachgeordneter Funktion als Dominanzwechsel ist, obwohl sich beide Funktionen in der Entwicklung kontinuierlich darauf zubewegen, selbst nicht kontinuierlich , sondern ein punktuelles Umkippen“ (ebd.). Interpretiert auf das transpersonale Commoning sind die beiden sich stetig verändernden Dimensionen der Wert der Dinge und die Zwecksetzung zur Bedürfnisbefriedigung . Ein einzelnes Objekt ändert seinen Charakter dabei nicht kontinuierlich, sondern kann nur entweder Wert sein – und damit Verwertungsmittel – oder als kollektiv zur Verfügung stehendes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung dienen; es kippt zwischen den Zuständen, während gesamtgesellschaftlich eine kontinuierliche Bewegung stattfindet.
Über transpersonales Commoning wird die Zwecksetzung zur Bedürfnisbefriedigung allgemeingültig konkretisiert und ist nicht von einer „interpersonal verabredete n Außerkraftsetzung der exkludierenden Wirkung des Eigentums“ (M/S, S.151) abhängig. Durch die zentrale Instanz wird der Re/Produktionsprozess durchsichtig und „transpersonales Vertrauen“ (M/S, S.151) kann entstehen und muss nicht vorausgesetzt werden. Da die Gesellschaft durch Selbstorganisation auf transpersonaler Ebene, das heißt ohne einem abstrakten Verwertungsprozess, so funktioniert, wie sie mir im Alltag gegenübertritt, entsteht auf interpersonaler Ebene die Möglichkeit, „dass ich mein Bewusstsein über mein Nahumfeld hinaus auf gesellschaftliche Zusammenhänge zur Bewusstheit erweitere“ (M/S, S.150). Die interpersonalen Momente sollen somit nicht durch die transpersonale Ebene negiert werden, sondern durch diese Ebene überhaupt erst ihre Möglichkeit finden. Andersherum ist transpersonales Commoning von den interpersonalen Strukturen und etwa der Möglichkeit abhängig, „andere Menschen als bedürftige Individuen mit eigenen Wünschen und Wahrnehmungen zu erkennen und sie auf Augenhöhe in die eigenen Wünsche und Wahrnehmungen einzubeziehen, anstatt sie nur instrumentell den eigenen Bedürfnissen unterzuordnen“ (M/S, S.210). Transpersonales Commoning setzt dabei nur den Rahmen, während Commoning als materiell schaffender Prozess auf interpersonaler Ebene stattfindet.
Folgend wird transpersonales Commoning in den vier Szenarien des Dominanzwechsels von Meretz und Sutterlütti (Effizienz, Ausdehnung, Staat, Krise. M/S, S.223-233) untersucht.
Dominanzwechsel 1: Effizienz des Commonings
Als erstes Szenario des Dominanzwechsels (M/S, 224-226) überlegen Meretz und Sutterlütti, ob Commoning effizienter werden kann als es des Kapitalismus ist. Sie stellen dabei fest, dass innerhalb der Warenproduktion die „lokale und partielle Effizienz immer einhergeht mit gesamtsystematischer Ineffizienz – gemessen an menschlicher Bedürfnisbefriedigung “ (M/S, S.225. Hervorheb. M.M.). Weiter: „Die commonistische Inklusionslogik erreicht […] eine wesentlich höhere Gesamteffizienz der Bedürfnisbefriedigung, die aber unter Umständen einhergehend mit verwertungsbezogener »Ineffizienz« […] ist“ (ebd., Hervorheb. M.M.). Hier zeigt sich, warum sich die Effizienz der kapitalistischen Produktion und Commoning so schwer vergleichen lassen: Sie beziehen sich auf zwei völlig verschiedene Dinge. Einmal auf Verwertung (des Wertes) , das andere mal auf Bedürfnisbefriedigung.
Folgend geht es um die von Meretz und Sutterlütti nur kurz in Form des Wissenskommunismus (Beispiel: Wikipedia) angedachte Möglichkeit, das Feld der Warenproduktion zu verlassen (vgl. M/S, S.225), hier, durch das transpersonale Commoning. Die einzige Gemeinsamkeit kapitalistischer Produktion und Commoning ist dabei die (Möglichkeit zur) Anwendung von privaten M ittel; die kapitalistische Produktion basiert darauf, während sie im Commoning verwendet werden können, um gesellschaftliche M ittel zu produzieren bzw. sinnlich-vitale Bedürfnisse direkt zu befriedigen. Sind also gesellschaftliche Mittel nicht bzw. nur im Verhältnis zu den privaten Mitteln geringer Anzahl vorhanden, muss Commoning mit diesen privaten Mitteln durchgeführt werden. Das heißt, diese müssen durch einen politischen Prozess überführt (siehe: 11.3 politisches Commoning) oder von einzelnen Produzierenden privat angekauft werden. Der private Ankauf arbeitssparender Produktionsmittel findet dabei seine realistische Möglichkeit durch die Konkurrenz innerhalb der kapitalistischen Produktion. Die Effizienz eines Produktionsmittel innerhalb der Verwertungslogik ist darin relativ zur Effizienz der Produktionsmitteln anderer Unternehmern Der Wert des Produktionsmittels misst sich dabei daran, ob mit ihm marktgerecht produziert werden kann. Ist dem nicht so, verliert es an Wert und kann für Lohnabhängige erschwinglich werden, deren Interesse nicht in einer Produktion für den Markt liegt, sondern in einer Produktion zur Unabhängigkeit von dem Markt. Außerhalb des Marktes wird sich auf ein Produktionsmittel nur seinem arbeitssparenden Charakter nach bezogen und diese Form der Effizienz steigt dabei absolut mit dem Fortschritt der technischen Entwicklungen. Ein Umstieg auf eine Produktionsweise zur Bedürfnisbefriedigung wird daher – innerhalb dieser rein materiellen Perspektive – umso einfacher, je fortgeschrittener die Technik innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise schon ist.
Je partieller die Commons-Struktur schließlich aufgebaut ist und je vereinzelter die einzelnen Commons sind, desto ineffizienter ist ihre Zusammenarbeit. Zu Beginn des Commonings werden nur Prozesse der ersten Stufe, sprich, zur direkten Bedürfnisbefriedigung möglich sein. Je mehr freie Zeit durch Commoning erreicht werden kann, desto mehr Zeit kann insgesamt zur direkten Bedürfnisbefriedigung aufgewendet werden, desto kooperativer kann die Bedürfnisbefriedigung sein. Fehlen gesellschaftliche Mittel zur Befriedigung von sinnlich-vitalen Bedürfnissen, kann ein Bedarf danach eingespeist werden. Gesellschaftliche Mittel sind der materielle Boden des Commonings und je mehr daher hergestellt wurden, desto mehr sinnlich-vitale Bedürfnisse können befriedigt werden, desto mehr freie Zeit für Commoning entsteht, desto komplexer können die einzelnen Bedürfnisse sein, die befriedigt werden können, desto speziellere Mittel entstehen, usw. Auf diese Weise entsteht und wächst die Struktur der modernen Commons und mit ihr wächst die Effizienz zur Bedürfnisbefriedigung stetig an. Das Verhältnis der Verwendung von privaten Mittel zu den gesellschaftlichen Mitteln ( gPm+/pPm+ ) zeigt dabei an, inwieweit die Commons-Struktur von seinem kapitalistischen Umfeld unabhängig geworden ist. Im Gegensatz zu Lohnarbeitern ist der Wohlstand der am Commoning Beteiligten an die Eigenständigkeit der Commons-Struktur gekoppelt. Je effizienter diese schließlich wird, desto weniger muss getan werden bzw. desto höher wird der Lebensstandard der Produzierenden.
In der Anwendung privater Mittel für das Commoning werden die durch das Privateigentum definierten Grenzen kapitalistischer Unternehmen ab dem ersten Moment überschritten und die einzelne Tätigkeit gliedert sich in eine gesamtgesellschaftliche Kooperation nach Inklusionslogik ein. Die Wege der Produktion nach Verwertung und nach Bedürfnisbefriedigung trennen sich daher von Anfang an und damit klärt sich auch die Frage, wie der Kapitalismus übernommen werden kann: Er kann es nicht. Die heutige Wirtschaftsstruktur entsteht durch den abstrakten Geldverwertungsprozess, durch die Suche nach der hohen Profitrate und nicht um Bedürfnisse zu befriedigen. Commoning ist keine Übernahme der Struktur, sondern eine Aufhebung. In der Entstehung des Kapitalismus in England wurden auch nicht die feudalen Bauernhöfe übernommen, sondern die Felder in gewinnbringendere Schafweide verwandelt (vgl. MEW23, S.744). Die Logik eines neuen Produktionsverhältnisses ist nicht auf die Struktur des bestehenden übertragbar und selbst die innerhalb eines bestimmten Produktionsverhältnisses produzierten Mittel unterscheiden sich voneinander. Was gesellschaftliche Produktionsmittel dabei speziell ausmachen muss, hat die Open Source Ecology herausgestellt und folgende sind die wichtigsten sechs Vorgaben: (1) Die Baupläne sind öffentliches Eigentum. (2) Modularität [Das heißt, eine größere Maschine besteht aus mehreren für sich stehenden Komponenten, die auch an anderer Stelle eingesetzt bzw. leicht ausgetauscht werden können. M.M.] (3) Geringe Kosten [allgemeiner formuliert: Wenig gesellschaftlich-notwendige Arbeitszeit. M.M.] (4) Auslegung auf lebenslange Haltbarkeit. (5) Effizienz muss sich mit den Industriestandards des Marktes messen können. (6) Einsetzbarkeit in verschiedenen Arbeitsbereichen. (vgl. [OSE-Wiki](http://wiki.opensourceecology.org/wiki/ OSE_Specifications), Übersetzung M.M.)
Dominanzwechsel 2: Ausdehnung der Commons-Struktur
Wodurch dehnt sich das transpersonale Commoning also aus, wenn die Bewegung des Commonings B- – … c… – B+ doch ausgleichend ist? Durch die Deckung des Bedarfs an gesellschaftlichen Mitteln, der im Prozess zur Befriedigung von sinnlich-vitalen Bedürfnissen entsteht. Da die Bedürfnisbefriedigung über die Commons-Struktur keine Gegenleistung erfordert, werden immer Bedürfnisse anstehen, die es zu befriedigen gilt. In der zunehmenden Etablierung der Commons-Struktur können immer komplexere Bedürfnisse befriedigt werden und dafür werden immer mehr gesellschaftliche Mittel benötigt. Gesellschaftliche Mittel sind dabei nicht nur Maschinen und Rohstoffe, sondern auch Immobilien und Boden. Die ausgleichende Bewegung B- – … c… – B+ hat somit einen ähnlich expansiven Drang wie die kapitalistische Bewegung G – W – G‘.
In einer als Privateigentum erschlossenen Welt stößt dieser Drang allerdings schnell an seine Grenzen. Meretz und Sutterlütti beschreiben, dass der „transpersonale Vermittlungsraum durch den Äquivalententausch beherrscht wird“ bzw. der „transpersonale Raum schon besetzt [ist]“ (M/S, S.230). Weiter: „Das transpersonale Vermittlungsterrain müsste vom Äquivalententausch Stück für Stück übernommen werden. Das ist der Kern der Ausdehnungsidee“ (ebd.). Es geht hier um Überführung von kapitalistisch verwendeten Privateigentum in die Commons-Struktur bzw. um die bestimmende Deutung der Dinge; sind sie Zweck der Verwertung oder Zweck der Bedürfnisbefriedigung? Problematisch ist dabei, dass der Warenfetisch Kern der bürgerlichen Gesellschaft ist. Um das Problem fassen zu können, kann vor sich auf den Tisch eine Münze gelegt und der Versuch unternommen werden, in ihr nur ein Stück Metall zu sehen, ohne, dass der entsprechende Geldwert sich aufdrängt. Es mag die reinste Form des Fetisches sein, aber für jemanden, der sich dieses Prozesses nicht bewusst ist, ist es ähnlich schwer denkbar, dass in etwa eine Wohnung oder eine Maschine keinen Geldwert mehr haben soll. Aber genau diese Werteigenschaft als bestimmende Form aus den Köpfen zu bekommen – sie überflüssig zu machen – ist das Ziel der gesellschaftlichen Befreiung aus der sachlichen Herrschaft.
Während der Ausdehnung der Commons-Struktur werden durch Bedürfnisbefriedigung tendenziell diejenigen Personen unabhängiger von der kapitalistischen Produktion, die sich selbst an an priorisierten Commoning-Prozessen beteiligen. Die zusätzlich zur Verfügung stehende Zeit kann – muss aber selbstverständlich nicht – wieder für Commoning aufgewendet werden, um eine noch weitreichendere Unabhängigkeit von Lohnarbeit zu erhalten. Falls sich entschieden wird die gewohnte Arbeitszeit beizubehalten kann die eingesparte Geldmenge in private Mittel für Commoning-Prozesse oder kapitalistische Konsumgüter investiert werden. Je nachdem wächst die Unabhängigkeit von der kapitalistischen Struktur oder steigt die eigene Lebensqualität. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene allerdings ändert sich mit der zunehmenden Etablierung der Commons-Struktur nichts an den Grundbewegungen einer bestimmenden Verwertungslogik: Da Lohnabhängige durchschnittlich weniger Geld benötigen, aber noch nicht ohne Geld überleben können, sinken tendenziell die Löhne in neuen Arbeitsverträgen. Da hierdurch mehr Lebenszeit verkauft werden muss, um den Lebensstandard zu halten, kann es sein, dass trotz der zunehmenden Etablierung der Commons-Struktur das Arbeitsvolumen für Lohnabhängige durchschnittlich nicht abnimmt bzw. der Lebensstandard nicht steigt.
Zur Veranschaulichung kann sich dafür vorgestellt werden, sämtliche sinnlich-vitalen Bedürfnisse nach Nahrungsmitteln könnten innerhalb eines Landes durch Commoning befriedigt werden. 2015 machten dabei in Deutschland die monatlichen Ausgaben für Nahrungsmittel 10,2% des Lohnes aus (zum Vergleich: USA – 6,4%. Thailand – 28,8%). Diese Kosten entfallen durch das Commoning, die Lebenskosten sinken damit um 10,2%, die Abhängigkeit von Lohn – etwa für Miete, Versicherungen, andere Konsumgüter, etc. - besteht aber weiterhin und damit ebenfalls die Dynamik zwischen den Arbeitern und den Arbeitslosen. Arbeitslose sind weiterhin gezwungen Arbeitsverträge anzunehmen, deren Lohnhöhe in erster Linie nur ihre Lebenskosten decken muss. Die Lohnhöhe kann damit um 10,2% geringer ausfallen, als es zu dem Zeitpunkt der Fall war, an dem das Bedürfnis nach Nahrungsmitteln noch über den Markt befriedigt werden musste. In reiner Perspektive auf die Arbeitsbedingungen wäre damit nichts gewonnen, aber darüber hinaus stützt sich die kapitalistische Produktion jetzt auf die Commons-Struktur (vgl. doppelte Funktionalität: M/S, S.204). Ein Zusammenbruch der Commons-Struktur würde bedeuten, dass die Löhne nicht mehr ausreichend den Lebensbedarf decken bzw. in den Branchen ausgegeben werden muss, die bisher über Commoning abgesichert waren. Das Warenkapital der anderen Branchen kann somit unregelmäßiger in Geldkapital verwandelt werden und die Wahrscheinlichkeit einer kapitalistischen Krise wird verstärkt (siehe: 11.4 Krisendynamik…). Aus einer Systemebene betrachtet, dehnt sich die Commons-Struktur somit unter der kapitalistische Gesellschaft aus und macht diese zunehmend abhängig von ihrer eigenen Stabilität.
Dominanzwechsel 3: Politisches Commoning
Privater Ankauf von Produktionsmittel durch Lohnarbeit und ihre Anwendung für Commoning ist ein Weg gesellschaftliche Produktionsmittel herzustellen. Wäre es aber damit möglich, das Commoning zur gesellschaftlich bestimmenden Produktionsweise zu machen, dann wäre jede Theorie zu den Tendenzen der kapitalistischen Produktionsweise Unsinn, das Kapital hätte sich nicht in immer weniger Händen zentralisiert und lohnabhängig zu sein wäre kein Zustand der Unterdrückung. Es braucht also Möglichkeiten zur direkten Überführung von kapitalistischem Eigentum, dafür also einen politischen Prozess, der aber auf Basis der Logik des Commonings neu gedacht werden muss. Meretz und Sutterlütti kritisieren zurecht Reform- und Revolutionsversuche, die „in der politischen Sphäre beginnen und von dort aus die gesamte Gesellschaft ergreifen“ (M/S, S.48) sollen und bringen es folgend auf den Punkt: „Es ist ein Widerspruch in sich: Der fremdbestimmende Staat soll Selbstbestimmung bringen“ (M/S, S.52). Politisches Commoning setzt daher, wie alle anderen Commoning-Prozesse, auf Ebene der anstehenden sinnlich-vitalen Bedürfnisse an, befriedigt diese aber auf andere Weise als die materielle Produktion.
Politisches Commoning ist immer die Ansprache des Staates, etwa in Form von Demonstrationen oder sozialen Ungehorsam, oder Tätigkeit als Teil des Staates selbst, um allgemeingültige Bedingungen zu erzeugen, in denen sinnlich-vitale Bedürfnisse direkt über Commoning befriedigt werden können. Politisches Commoning kann selbst nie direkt sinnlich-vitale Bedürfnisse befriedigen – staatliche Politik ist immer Herrschaftsausübung und damit nicht mit Commoning vereinbar -, sondern kann nur an der Überführung von kapitalistisch verwendeten Mitteln zu gesellschaftlichen Mitteln mitwirken, also die allgemeine Deutung einzelner Dinge als Wert oder als Mittel zur Bedürfnisbefriedigung bestimmen. Der primäre Weg hierfür ist der Entwurf von Gesetzen und demokratische Aufklärung, damit diese in Kraft treten. Im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung steigt die Anzahl an nahezu eigentumslosen Lohnabhängigen im Gegensatz zu einer immer kleiner werdenden Gruppe Menschen, welche nur durch die Geldvermehrung selbst leben (vgl. MEW23, S.791). Objektiv ergibt es daher im demokratischen Feld Sinn kapitalistischen Eigentum – etwa Produktionsmitteln insolvent gegangener Unternehmen – in eine Struktur zu überführen, in denen auch Eigentumslose ihre Bedürfnisse mit diesen bereits vorhandenen Produktionsmitteln befriedigen können. Commoning steht allerdings nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil einer kommunistischen Geschichte. Da in dieser schon oft Versprechen nicht eingehalten werden konnten, dass sich nach einer – wie auch immer aussehenden – Revolution die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen deutlich verbessern würden, stellt Bini Adamczak in „gestern morgen“ (2015) die „beunruhigende Frage […], ob die mangelnde Revolutionsbereitschaft der Massen nicht eher historische als ideologische Gründe hat“ (Adamczak, S.139). Weiter: „Als handele es sich – nach den Revolutionen des 20. Jahrhunderts! - bei der Skepsis gegenüber allen kommunistischen Versprechungen lediglich um falsches Bewusstsein und nicht vielmehr um ein richtiges“ (ebd.). Durch eine bereits bestehende Commons-Struktur muss daher erfahrbar werden, dass die selbstorganisierte Produktion nach Bedürfnisbefriedigung tatsächlich die eigenen Lebensbedingungen verbessert. Erst von hier aus kann Politik betrieben werden, welche sich der staatskommunistischen Geschichte enthebt und der bürgerlichen Ideologie neu entgegengestellt werden kann.
Für die Bedürfnisbefriedigung im Rahmen der Commons-Struktur ist es dabei unerheblich, ob etwa ein Haus oder eine Maschine überführt – also Enteignung auf Wertebene und Eingliederung in die Mittel der Commons-Struktur – oder neu produziert wird. Der einzige Unterschied ist der jeweils damit zusammenhängende Aufwand, die dafür vorhandenen Möglichkeiten im jeweiligen Umfeld bzw. die jeweiligen Fähigkeiten der am Commoning teilnehmenden Personen. So wie bei produzierenden Commoning-Prozessen kein privates Eigentum entsteht, ist es auch bei dem politischen Commoning der Fall. Für die einzelne Person hat politisches Commoning einen Vorteil durch die Priorisierung ihrer eigenen Bedürfnisse. Das im politischen Commoning entstehende Geld – etwa in Form von Diäten, Zuschüssen oder Projektförderungen – wird daher, wie etwa Halbfabrikate in der Produktion, für die Bedürfnisbefriedigung des jeweiligen Commoning-Prozesses aufgebraucht und ist zu keinem Zeitpunkt Eigentum von Personen, Commons oder gar der Commons-Struktur. Wenn auch Personen im unterschiedlichen Maßstab an beiden Gesellschaftsformen – Produktion nach Verwertung und Produktion nach Bedürfnisbefriedigung – teilnehmen und diese Gesellschaftsformen aufeinander aufbauen bzw. sich aufeinander stützen, bleiben sie zu jedem Zeitpunkt in sich geschlossen und voneinander getrennt.
Dominanzwechsel 4: Krisendynamik zwischen kapitalistischer Produktion und Commoning
Die kapitalistische Produktion selbst hat eine starke Eigendynamik, ist aber ihrer Grundlogik nach nicht stabil, sondern erzeugt aus sich heraus durch das räumliche und zeitliche Auseinanderfallen von Kauf und Verkauf immer wieder Krisen; das Geldkapital wird über die Waren Produktionsmittel und Arbeitskraft zum produktiven Kapital, holt hier Mehrarbeit aus den Produzierenden und vergegenständlicht diese im Warenkapital. Das Warenkapital steht somit in der Zirkulationssphäre (Markt), was in der kapitalistischen Produktion etwa den Vorteil bringt, dass andere Kapitalisten für ihre eigene Produktion sofort darauf zugreifen können und nicht, wie es im Commoning der Fall ist, etwa die dafür notwendigen Mittel erst hergestellt werden müssen. Anders als im Commoning gibt es dafür aber keinen direkten Adressaten, niemanden, für den es bestimmt ist und womöglich auch niemanden, der es gebrauchen kann bzw. wenn er oder sie es gebrauchen kann, dann vielleicht nicht zu dem Zeitpunkt oder es kann schlicht nicht bezahlt werden. Um dieses „Auseinanderfallen“ auszugleichen und etwa schon vor dem tatsächlichen Warenverkauf Geld für neue Investitionen zu haben, nehmen Unternehmer und Investoren Kredite auf, handeln mit Schuldversprechen und stehen somit in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander. Wenn Krisen auch vielfältige Ursachen haben, ist der Zwang zur Ausdehnung, die notwendige Bewegung von G nach G‘ , zentral. In dem ständigen Zwang gegen die Konkurrenz mit immer billigeren Preisen zu bestehen, werden Lohnarbeiter durch moderne Produktionsmittel ersetzt und an anderer Stelle wieder zu niedrigeren Löhnen von ihrer Arbeitslosigkeit befreit. In der Produktion mit immer effektiveren Produktionsmitteln entsteht eine immer größere Masse an Warenkapital, für dessen Verwirklichung Käufer gesucht werden müssen und dabei einer immer größeren Anzahl an Lohnabhängigen (insbesondere Abnehmer der Konsumtionsmittel) und Unternehmern (insbesondere Abnehmer der Produktionsmittel) gegenübersteht, welche die Produkte vielleicht benötigen, aber nicht mehr bezahlen können. Die Folge daraus ist die Vernichtung von Kapital. Einerseits, indem Maschinen, Gebäude, Produkte, etc. unbenutzt liegen bleiben und Arbeit nicht länger ausgebeutet werden kann – keine Produktion bedeutet verlorene Produktion -, anderseits, indem das produzierte Warenkapital deutlich unter seinem Wert verkauft wird und damit die Verwertung von Wert ohne immer weitere Kreditaufnahme unmöglich wird. Unternehmen gehen Bankrott und Lohnarbeiter werden vermehrt zu Arbeitslosen (vgl. MEW25, S.265).
Marx zur Situation von Lohnabhängigen in der Krise: „Das industrielle Arbeitslosenheer drückt während der Perioden der Stagnation und mittleren Prosperität auf die aktive Arbeiterarmee und hält ihre Ansprüche während der Periode der Überproduktion und der Überspannung im Zaum. Der relative Arbeiterüberschuss ist also der Hintergrund, worauf das Gesetz der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit sich bewegt“ (MEW23, 668). Weil es zur kapitalistischen Produktion bisher keine fortschrittliche Alternative gibt und Lohnabhängige immer versuchen müssen, ihre Arbeitskraft – auch zu Notfalls miserablen Bedingungen – zu verkaufen, steigt in einer Krise nicht nur die Zahl der Arbeitslosen, sondern verschlechtern sich auch die Arbeitsbedingungen der Arbeitenden. Wie Meretz und Sutterlütti sagen, hat eine Krise somit immer auch „ein unumstößliches subjektives Moment“ (M/S, S.232). Dieses subjektive Moment kann dazu führen, dass – gesetzt, eine transparente Commons-Struktur existiert bereits – das Commoning als sinnvoller zur Herstellung der eigenen Lebensbedingungen und Handlungsfähigkeit empfunden wird. Bevor wir uns dem näher annehmen, muss aber die Commons-Struktur selbst auf Krisen überprüft werden.
Da Commoning in seinem Ideal freiwillig geschieht und auch bei einer Bedürfnispriorisierung zumindest freie Zeit von persönlicher und sachlicher Herrschaft benötigt, können Krisen entstehen, indem die Zeit zwischen anstehenden und befriedigten Bedürfnis nicht mehr im Rahmen des, möglicherweise existenziellen, Bedürfnisses selbst ist. Wenn, wie im anfangs genannten Beispiel, dreizehn Commons auf drei Ebenen an der Produktion beteiligt sind und die drei der zweiten Ebene erst mit der Arbeit beginnen können, wenn sich in den neun letzten Commons Menschen gefunden haben, welche sich dem Bedürfnis annehmen und schließlich das erste Commons noch auf diese drei abgeschlossenen Commoning-Prozesse der zweiten Ebene warten muss, dann kann die vergehende Zeit dazwischen enorm sein. Das ist die Kehrseite des Ganzen: Kapitalistische Krisen entstehen in einer Sphäre, die im Commoning durch die vorher-Vermittlung nicht existiert, was aber einen deutlich längeren Produktionsprozess nach sich zieht. Wie kapitalistische Produktion von anderen kapitalistischen Produktionsprozessen abhängig ist, ist auch ein einzelner Commoning-Prozess davon abhängig, dass die Bedürfnisse der darin Beteiligten möglichst vollständig außerhalb der Warenform befriedigt werden. In einer unterentwickelten Commons-Struktur kann ein einziger notwendiger Commoning-Prozess, der nicht ins Laufen kommt und für den es keine Alternative gibt, reichen, um die Befriedigung eines sinnlich-vitalen Bedürfnisses – welches nicht nur an einen einzigen, sondern an beliebig vielen Adressaten gerichtet sein kann – anzuhalten. Ist dieses Bedürfnis für die Personen notwendig und wird es nicht über Commoning befriedigt, müssen sie selbst von ihren jeweiligen Commoning-Prozessen ablassen und sich wieder vermehrt der Lohnarbeit widmen. Da damit natürlich weniger Zeit für Commoning zur Verfügung steht, werden sinnlich-vitale Bedürfnisse anderer wieder nicht erfüllt und so weiter. Aber je stärker der öffentliche Sektor des sie umgebenden bürgerlichen Staates, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass eine commonistische Krise tatsächliche Existenzängste auslöst oder zumindest nur in dem Maßstab, wie sie im bürgerlichen Staat ohnehin gegeben sind. Auch hier wird wieder deutlich: Das kapitalistische System ist der Boden des Commonings und nicht (nur) sein Gegenspieler.
Die Wahrscheinlichkeit einer Krise nimmt im Kapitalismus durch zunehmende Konkurrenz zu, in der Commons-Struktur nimmt sie durch immer mehr Teilnehmer und Ausweichmöglichkeiten ab. Wollen sich Lohnabhängige im Kapitalismus derselben Tätigkeit widmen, stehen sie in Konkurrenz und nur ein kleiner Teil davon darf sich ihr schließlich annehmen, wobei die Arbeitszeiten länger und der Lohn geringer wird, je höher das Angebot an Arbeitskräften ist. Wollen sich Lohnabhängige in der Commons-Struktur derselben Art einer Bedürfnisbefriedigung annehmen, ist es aus Perspektive der Effizienz für jeden von Vorteil diese als Kooperationsprozess aufzuteilen. Die dafür insgesamt benötigte Zeit nimmt damit ab und die Lebensqualität – im Sinne zusätzlich freier Zeit – eines jeden nimmt zu . Je etablierter schließlich diese Produktionsweise in seinem kapitalistischen Umfeld ist, desto sinnvoller wird Commoning für die Produzierenden und da hierfür gesellschaftliches Eigentum benötigt wird, werden erst dadurch auch „die Eigentumsverhältnisse zunehmend in Frage gestellt“ (M/S, 232). Das ist hierfür essentiell: In einer Krise mag die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden zunehmen, aber der Warenfetisch wird dadurch nicht aufgehoben. Antisemitische Trugschlüsse liegen oft näher als Erklärung für soziales Elend, als die Auswirkung einer verselbstständigten Dynamik des privaten Eigentums. Wenn Meretz und Sutterlütti also davon sprechen, dass eine Krise „ein Überschreiten der Zustände [verlangt]“ (M/S, S.230) ist das durchaus richtig, aber wenn es keine fortgeschrittene Produktionsweise gibt, welche die Ideologie des alten Systems auflösen kann, dann bleibt das Denken in der vermeintlichen Vernunft der Geldlogik gefangen.
Wenn Commoning gesamtgesellschaftlich immer sinnvoller wird und immer mehr Bedürfnisse dadurch befriedigt werden, können kapitalistische Unternehmen immer weniger Warenkapital in Geldkapital verwandeln und folglich verschärfen sich die kapitalistischen Krisen, wie die Commons-Struktur stabiler wird. Aber wenn die Arbeitsbedingungen in Krisen für Lohnabhängige immer härter werden und Lohnarbeit im bestehenden System zur Erhaltung der eigenen Existenz notwendig ist, durch wen soll dann Commoning betrieben werden? Durch Arbeitslose. Der Kapitalismus funktioniert nicht ohne einen arbeitslosen Bevölkerungsteil, welche selbst systematisch zur Arbeit verpflichtet sind, während aber ihre jeweiligen Fähigkeiten innerhalb der kapitalistischen Produktion nicht benötigt werden. Ohne dass ein Mangel herrscht und obwohl das System eben von ihrem Vorhandensein abhängig ist, werden sie vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen. Tilman W. Alder fasst in seiner Arbeit „Eine Sicht der Kritischen Psychologie auf Arbeitslosigkeit als psychische Deprivation“ die fünf zentralen Effekte der Arbeitslosigkeit nach der Sozialforscherin Jahoda folgendermaßen zusammen: (1) Die gewohnte Zeitstruktur wird zerstört. (2) Resignation, Langeweile und Zeitverschwendung beginnen den Alltag zu dominieren. (3) Seelische Belastung durch das Gefühl nicht gebraucht zu werden; das Gefühl ein Ausgestoßener in der Gesellschaft zu sein. (4) Soziale Kontakte innerhalb der Erwerbsarbeit brechen schlagartig ab und führen zu einer zunehmenden Isolation. (5) Der öffentliche, mit dem Beruf verbundene, Status nimmt ab, so wie sich Arbeitslose zunehmend mit ihrer Arbeitslosigkeit identifizieren (vgl. TWA, S.16-18). Jahoda schließt daraus, dass die Lohnarbeit, besonders auf Grund ihres „Zwangsmoments“ (vgl. TWA, S.21), für Menschen eine zentrale und wichtige Bedeutung hat. Alder kann ihr allerdings entgegenstellen, dass diese zentrale Lebensbedeutung der Lohnarbeit nur zutrifft, „wenn der gesellschaftliche Handlungsrahmen dies erfordert; ich also ohne Erwerb ausgeliefert bin“ (TWA, S.55).
Heute ist für Lohnabhängige Lohnarbeit die einzige Form um über die Bedingungen des eigenen Lebens verfügen zu kommen und der Handel mit ihrer einzigen Ware, der Ware Arbeitskraft, ist den Gesetzen von Angebot und Nachfrage an Arbeitskräften und damit auch den kapitalistischen Krisen unterworfen. Mit der Ausdehnung der Commons-Struktur und je mehr sich das kapitalistische System darauf stützt, desto mehr löst sich dieser Zustand der Unterwerfung und neue Handlungsmöglichkeiten zur Herstellung der eigenen Lebensbedingungen entstehen außerhalb des kapitalistischen Systems. Von der kapitalistischen Produktion freigestellte Arbeitslose können sich in der Commons-Struktur produktiv einbringen, um sich sinnlich-vitale Bedürfnisse befriedigen zu lassen, deren Befriedigung ihnen auf anderen Weg nicht möglich ist. Durch die Bedürfnisbefriedigung haben Arbeitslose damit einen eigenen Vorteil durch Commoning, selbst, wenn die Beteiligung daran für Lohnarbeitende noch nicht sinnvoll ist. Die Commons-Struktur wächst damit an, je verheerender eine kapitalistische Krise ausfällt. Je ausgebauter eine Commons-Struktur ist, desto abhängiger macht sich das kapitalistische System (durch die Höhe der durchschnittlichen Löhne) von ihr. Je fortgeschrittener schließlich die absolute Effizienz der innerhalb der Commons-Struktur verwendeten Mittel ist, desto einfacher lassen sich die Lebensbedingungen einer Commons-Gesellschaft darin herstellen. Für den Umbruch von einer durch Verwertung zu einer durch Bedürfnisbefriedigung bestimmten Produktionsweise, kann eine kapitalistische Krise daher verstärkend wirken. Das in den Krisen entstehende Verlangen nach einem „Überschreiten der Zustände“ (M/S, S.230) kann durch die bereits mögliche Erfahrbarkeit des Commonings als Produktionsweise zur tatsächlichen Verbesserung der Lebensbedingungen eine emanzipatorische Richtung annehmen und muss so nicht, wie es bisher in Krisen immer wieder der Fall war, in reaktionären, zum Faschismus tendierenden, Nationalismus oder zu einer (fanatischen) Rückkehr in den Schoß der Religionen zurückfallen.
Abschließend
„In schneidenden Widersprüchen, Krisen, Krämpfen drückt sich die wachsende Unangemessenheit der produktiven Entwicklung der Gesellschaft zu ihren bisherigen Produktionsverhältnissen aus. Gewaltsame Vernichtung von Kapital, nicht durch ihm äußere Verhältnisse, sondern als Bedingungen seiner Selbsterhaltung, ist die schlagendste Form, worin ihm advice gegeben wird, to be gone and to give room to a higher state of production.“ (MEW42, S.642)
Dass Stefan Meretz und Simon Sutterlütti ihr Werk „Kapitalismus aufheben“ im Untertitel als „eine Einladung“ bezeichnen, um „über Utopie und Transformation neu nachzudenken“, sollte jeder Kritikerin und jedem Kritiker klar machen, dass es nicht ihr Anspruch ist, in Sachen Klarheit und Präzision an ihre Vordenker Marx und Holzkamp heranzukommen. Was die beiden Autoren dafür geschafft haben, ist überhaupt eine Grundlage zur Diskussion über eine materialistische Methode zur tatsächlichen Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft zu geben, welche den einzelnen Menschen dabei nicht für ihre Zwecke objektiviert. Wenn ihre Theorie auch noch problematisch ist, ist der Schritt, den sie damit in Richtung der Erschaffung einer wirklich revolutionären Praxis gegangen sind, gewaltig. Da Meretz und Sutterlütti die Schwachstellen ihrer bisherigen Keimformtheorie nicht verstecken, habe ich ihre Einladung angenommen und hoffe hiermit, ihre Theorie ein wenig standfester gemacht zu haben.
Besonders wichtig war mir dabei die Einführung einer allgemeinen Formel des Commonings , um diese Produktionsweise erstmals zu konkretisieren und sie damit nicht nur mit der kapitalistischen Produktion vergleichbar, sondern auch bestimmte allgemeine Momente einer commonistischen Gesellschaft denkbar zu machen. Durch diese Formel konnte ich für mich die wesentlichen Probleme der von Meretz und Sutterlütti beschriebenen Keimform herausstellen, welche sich meiner Meinung nach wesentlich darin begründen, dass sie versuchen aus den bestehenden Commons auf eine allgemeine Logik zu schließen, anstatt von einer allgemeinen Logik aus die Commons neu definieren.
Zur Verwirklichung der von mir neu definierten Commons-Struktur sehe ich als wesentlichen Schritt die technische Entwicklung einer zentralen Instanz, durch welche sich die Herstellung und Erhaltung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen hierarchiefrei organisieren lässt und welche es ermöglicht, dafür Mittel mit einem allgemeingültigen Zweck zu beschreiben. Diese Zwecksetzung der gesellschaftlichen Mittel steht dabei dem Wert der kapitalistischen Gesellschaft gegenüber. Die Aufhebung des Kapitalismus ist damit ein kontinuierlicher Prozess, in welchem Stück für Stück einzelne Dinge ihren Wertcharakter vollständig verlieren und als Mittel zur Bedürfnisbefriedigung durch diese zentrale Instanz organisiert werden können.
Weiter bin ich der Überzeugung, dass nur über eine solche zentrale Instanz eine Produktionsweise entstehen kann, welche gesellschaftliche Produktion durchsichtig macht und sowohl auf inter- als auch transpersonaler Ebene inkludierend wirkt. Sich über diese Instanz gesamtgesellschaftlich zu vermitteln, darauf folgend auch über die daraus entstehenden interpersonalen Strukturen, sollte mit einer zunehmenden Etablierung der Commons-Struktur heute Lohnabhängige dabei unterstützen, ihre Lebensbedingungen selbstbestimmt herzustellen, während für sie die damit verbundenen Anstrengungen und Risiken gegenüber der Lohnarbeit immer geringer werden.
Zuletzt sind meiner Meinung nach kapitalistische Krisen zur Herstellung einer Commons-Struktur von besonderer Bedeutung. Nicht nur, weil sich ganz allgemein die Arbeits- und Lebensbedingungen von Lohnabhängigen verschlechtern und damit Commoning objektiv immer sinnvoller wird, sondern durch die mit ihr einhergehende wachsende Zahl an Arbeitslosen. Durch die Bedürfnispriorisierung sind für Arbeitslose die zusätzlichen Handlungsmöglichkeiten, welche durch andere bereits in einer unausgebauten Commons-Struktur angeboten werden, bereits von Vorteil zur Herstellung der eigenen Lebensbedingungen, während die Vermittlung darüber in diesem Stadium der Struktur für Lohnarbeitende noch nicht sinnvoll ist. Die Abhängigkeit des kapitalistischen Systems von Arbeitslosigkeit (bzw. einer „industriellen Reservearmee“) kann ihm somit zum Verhängnis werden und, die notwendigen Bedingungen vorausgesetzt, den Umbruch zu einer fortgeschrittenen Produktionsweise ermöglichen.
Bei all den theoretischen Fragen, die noch beantwortet werden können (etwa zum Prozess der Umstrukturierung, zur genaueren Analyse des Verhältnisses zwischen interpersonalen und transpersonalen Commoning oder auf welchem juristischen Boden eine politische Überführung von kapitalistischen Eigentum in die Commons-Struktur steht), halte ich von wesentlicher Bedeutung nur die sehr praktische Frage, wie eine zentrale Instanz zur Selbstorganisation und Zwecksetzung der Mittel realisiert und von Außeneinflüssen geschützt werden kann. Meiner Ansicht nach, sind alle weiteren Fragen dieser gegenüber zweitrangig.