Mein Gespür sagt mir, dass Dein Bedürfnis, bei dieser Frage rund um den Aufwand endlich zu einem (vorläufigen) Abschluss zu kommen, gerade recht groß ist. Du steckst ja zudem viel tiefer im Gesamtprozess und hast einen umfassenderen Überblick über die Zusammenhänge verschiedener Themen und „SW-Komponenten“. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass Dir das Herumphilosophieren gerade zu weit weg von der konkreten SW-Anwendung erscheint und die von der heutigen anthroprozentrischen Ontologie losgelöste systemische Betrachtung der „Verbundenheit allen Lebendigens“, in dem der Mensch eben nur eine wesentliche, aber nicht die alleinige Rolle spielt, nicht sonderlich liegt. Es ist auch viel verlangt, denn darin liegt vielleicht eine Verschiebung des Weltbildes, die dem vom geozentrischen zum heliozentrischen (war dann auch bloß nicht vollständig ;)) nahe kommt, samt erneuter Kränkung der Menschheit… Deshalb noch eine vielleicht letzte Stellungnahme zum Themenkomplex von mir:
„Ich bin persönlich immer kein Fan von dem Denken, dass man alles anders machen muss, wenn es irgendwie so im „Feind“ (in dem Fall: dem Kapitalismus) ebenfalls vorhanden ist.“
Gegen diesen Vorwurf möchte ich mich explizit zur Wehr setzen und glaube auch stets zu versuchen, mich bewusst von Dogmatismus zu distanzieren! Es geht mir überhaupt nicht darum, aus Prinzip dagegen zu sein. Vielmehr denke ich, dass das Leistungsprinzip (Arbeit bzw. Output pro ZEIT) strukturell aus den Folgen der Marktmachanismen und des Kapitalismus hervorgegangen ist. So selbstverständlich uns heutzutage die minutiöse Taktung unseres Lebens erscheinen mag und allgemein als Erungenschaft gilt, so ist diese doch auch nur eine moderne Erscheinung, im Grunde genau wie so vieles andere, das wir Commoner in Kritik stellen. Dabei sehe ich eben nicht nur die durchaus begrüßenswerten Aspekte des intensiven Zeitbezugs, sondern auch, dass die Menschen mehr und mehr unter dieser Entwicklung leiden. Für eine Maschine ist eine mechanisch exakte Fertigung genauso wichtig wie eine exakte zeitliche Taktung, denn sonst „läuft sie nicht rund“. Das gleiche gilt m.M.n. für die vielzitierte „Megamaschine“, welche die Menschheit mittels Marktprinzipien errichtet hat. Deshalb mein „Vorwurf“ an Dich: Falls Du tatsächlich ausschließlich an der Zeit als alleinigem Maß für „sinnvoll, optimal oder gut“ festhältst, dann wirkst Du an dieser Stelle aus meiner Sicht diesem strukturellen Trend nicht entgegen. Auch wenn es Dir intuitiv naheliegend erscheint, hoffe ich, dass Du mit diesen Überlegungen „schwanger gehst“ und darauf, wenigstens einen Zweifel gesät zu haben. Es gibt durchaus auch wissenschaftliche Beiträge zum Thema „Die Erfindung der Zeit“.
Ich plädiere auch gar nicht dafür, von der Verwendung der Zeit in der von Dir beschriebenen Weise abzurücken (oder sie gar zivilsatorisch überwinden zu wollen). Nur dafür, diese tatsächlich menschliche Perspektive zugleich in einen größeren und übergeordneten Kontext zu packen und dann beides parallel bzw. verschränkt laufen zu lassen. Zeit als individualistische Perspektive und Energie als ganzheitliche bzw. gesellschaftliche Kenngröße empfinde ich gerade als richtungsweisend. Keine Frage will ich jetzt nicht behaupten, das eine wie das andere wäre ganz sicher das einzig relevante Maß und glaube einfach nur, dass diese Betrachtungsweise zum einen bereits eine Menge internalisiert, was heute aus dem Blick fällt und zum anderen zumindest mir persönlich auch praktisch recht handhabbar erscheint. Annette kritisiert an der Idee ebenfalls, dass es wieder nur EINE Kenngröße gibt. Stimmt, ist vermutlich wirklich ein Problem… Aber ihr Vorschlag, dass alle Kriterien des Modells der „planetaren Grenzen“ erfasst und einbezogen werden müssten, kann ich mir praktisch nicht ausmalen - insbesondere nicht auf dieser Kleinstebene, auf der Menschen mit der Software arbeiten sollen. Wie wollte man da bspw. die „Versauerung der Meere“ ableiten? Aber der Energieeinsatz durch programminterne Umrechnung von Arbeitszeit in Kalorienverbrauch, sowie die Erfassung von Kilowattstunden durch externe Energiezufuhr (i.d.R. Strom) ist doch vergleichsweise simpel! Vermutlich weiter unvollständig, aber schon mal besser und ja auch nur eine Orientierung, kein Muss!
Für die Menschen, die die Software verwenden, darf der Energiebezug aus meiner Sicht in den allermeisten Fällen auch völlig im Verborgenen beiben. Es ist völlig richtig, dass der in der Regel aktuell kaum eine praktische Entscheidungshilfe wäre. Aber: Ist nicht auch jetzt bereits ein zunehmendes gesellschaftliches Bedürfnis nach Energieoptimierung zu beobachten? Ist nicht das gerade ein zentrales Anliegen in der Wandelszene (Suffizienz)? Und ist nicht auch klar, dass wir den hiesigen Enerieverbrauch nicht können halten werden, weil er nicht global verallgemeinerbar ist und systematisch gesenkt werdenmuss? Auf der anderen Seite ist es jedoch auch ein durchaus berechtigtes Bedürfnis - insbesondere der Konservativen - auf die hier und heute üppigen Möglichkeiten zur „Bedürfnisbefriedigung“ nicht verzichten zu müssen? Wir müssen also Wege finden, wie wir das „Wohlstandsniveau“ halten können und Verzicht dafür keine Notwendigkeit darstellt, dazu aber einen wesentlich niedrigeres Energieniveau erreichen. Ich denke, genau hier - zwischen Bedürfnisbefriedigung und erforderliches Energieniveau - liegt die Frage nach dem sinnvollen/gerechten/machbaren Maß, also auch die Optimierungsaufgabe. Und genau dafür wäre die Erfassung der Gesamtenergie für verschiedene Tätigkeitsmuster so sinnvoll: der anschließende Vergleich der Muster miteinander liefert eine Anwort, welche Handlungsweisen am nachhaltigsten und damit zukunftsfähig sind! Unabhängig davon, wie viel (menschliche Muskel-)Arbeit sie dabei erfordern!! Meine Hoffnung: Es bilden sich dadurch dynamische Fließgleichgewichte zwischen Bedürfnissen und Energieverbrauch. Die Menge an menschlichen Bedürfnissen, die gestillt werden kann, steigt mit dem Nutzen energiesparsamer Methoden und Mittel. Konkrete Energiebeträge muss der Nutzer dafür in den meisten Fällen nicht mal unbedingt zu Gesicht bekommen! Genau wie durch den finanziellen Preis entsteht jedoch eine Nahelegung, der man folgen kann, aber nicht muss. Und diese speist sich aus dem Spektrum, welches das jeweils energieärmste und das energieintensivste Tätigkeitsmuster eröffnen. Damit sind auch schnelle Lösungen möglich, aber im vollen Bewusstsein ihrer tatsächlichen „Kosten“.
Die SW bietet aus meiner Sicht gerade einen hervorragende Gelegenheit dazu, dies gesellschaftlich zu verankern und zu verbreiten! Es würde dazu führen, die wirklich schädlichen Lebensweisen, die vielen heute normal erscheinen, zu entlarven! Außerdem dazu, Anreize systemisch zu stärken, nachhaltige Alternativen für liebgewonnene und bequeme (und schnelle… Zeit!) Handlungsweisen/Lösungen zu suchen. Heute ist das nämlich eher Idealismus oder Marketingstrategie! Schade, wenn diese Gelegenheit hier einfach verstreicht…
„Inwiefern werden körperliche Arbeiten damit bevorzugt?“
Das werden sie nicht zwangsläufig und genauso wenig der Wunsch nach Automatisierung unterdrückt. Auf Grund der Betrachtung könnte sich aber eben deutlich zeigen und herausstellen, wie effizient es im Sinne des Gesamtsystems ist, Dinge mit Muskelkraft und auch auf langsamere Art und Weise durchzuführen. Wenn ich meine eigenen Bedürfnisse oder Beiträge möglichst wenig aufwendig befriedige und gestalte, dann lässt eben genau dies zu, dass auch andere Menschen mehr ihrer Bedürfnisse befriedigen können und es ist genug für alle da. Es ist somit systemisch nahegelegt, eine sparsame und genügsame Haltung zu entwickeln. So meine mutmaßliche These.
Zur Grafik bzw. dem Schema:
Ja, bei der Herstellung* müsste dann der gesamte Lebenszyklus des Produktes bis zur Entsorgung/Wiederverwertung in die Aufwandskalkulation einbezogen werden. Die vorgelagerten Prozesse zur Bereitstellung der notwendigen Bedarfe erschließen sich ja zumeist von allein. Aber die nachgelagerten Prozesse müssten ja vorgedacht und abgeschätzt (?) werden. Das kann ich mir gerade praktisch noch schwerlich vorstellen. Zudem ist mir unklar, wie man den Anteil des Gesamtaufwandes bspw. an der PKW-Wartung zur Herstellung einer Leinwand bemessen will? Der PKW wird ja auch für andere Dinge benutzt, die ihn wartungsbedürftig machen… Kannst Du das denken?