Wiki, Muster und Wissen

Das Wiki ist ein Werkzeug, welches direkt aus der Beschäftigung von Softwareentwicklerïnnen mit der Mustersprachentheorie von Christopher Alexander entstanden ist. Das erste Wiki selbst ist bis heute das Portland Pattern Repository und ein Beispiel dafür, wie Muster im Wiki abgebildet werden können, als auch dafür, dass das Wiki als Schreibinstrument selbst als eine Sammlung von angewandten Mustern verstanden werden kann. Wie hilft uns das in der Pflege und Bewahrung der Wissensallmenden, welche von Einhegung und Kommerzialisierung bedroht sind?

Muster in Wiki

Die Mustersprachen nach Alexandrischer’ Auffassung bilden ein Geflecht aus Verweisen und Bezügen, welche einzelne Muster untereinander verbinden. In dieser Form ähnelt ihre Anordnung der Art und Weise, in welcher sich im World Wide Web Dokumente und Seiten auf einander beziehen: mit Hilfe von Links.

Schreiben wir nun einen Text, welcher mit Links angereichert ist, die auf noch nicht oder andernorts beschriebene Einzelheiten eingehen, bildet dieser zusammen mit den verlinkten Texten einen sog. Hypertext. Im Wiki nun ist es besonders einfach Links zu neuen, ungeschriebenen oder bestehenden Texten zu setzen. Dies lässt den Korpus des Wissens in einem Wiki organisch beim schreiben anwachsen, ohne dass einzelne Seiten zu lang werden, da randständige Inhalte leicht ausgegliedert werden können. Denn je Seitentitel behandeln wir nur ein Thema, ein einzelnes Muster.

Eine grobe Einführung in das Wiki-Thema bietet der Artikel The Way of Wiki von 2011.

Spannend ist es nun sich unser Wiki nicht nur als eine Enzyklopädie vorzustellen, in welcher mehrheitstaugliche Meinungen zusammengetragen werden, sondern als einen Verbund von thematisch isolierten Wikis, die sich dennoch mit einander verbinden lassen. Benötigen wir in der Musterschöpfung bisweilen auch Überlegungen in Richtungen, die wir noch nicht angedacht haben, können wir diese bequem verlinken. Sollten diese aber bereits in einem Verbundwiki hinterlegt sein, sei es bspw. über die Wissensallmende¹ oder auch sozial-semiotische Theorie², können wir die Inhalte und Muster direkt in unsere Kontexte übernehmen und weiterverarbeiten.

¹ http://don.tries.fed.wiki/knowledge-commons.html oder
² Semiotics Seminar 2015 — ENGL 6680: Interdisciplinary Seminar: Social Semiotics

Und wie gehen wir mit weiteren solchen Inhalten um, die wir in der Föderation vorfinden, und die unseren Prozess anreichern können? Ich finde diese Materialien aus den vergangenen Jahren des experimentellen Schreibens von Personen in Verbundwikis bereits sehr gehaltvoll und nützlich:

The Company of Strangers — Paul Seabright’s The Company of Strangers (2004, rev. 2010) is a study of the importance of trust in strangers in our everyday lives. Seabright challenges the assumption that humans exist in primarily competitive relations with each other, and points out instead that our everyday lives are dependent on the capacity to trust that others will act in predictable ways that sustain the institutions on which we all rely.

Constructed KnowingMaha Bali Everyone welcome to contribute to this Wikipedia style article on Constructed Knowing based on Women’s Ways of Knowing. Inspired by Frances Bell post on Forking as (Cultural) Feature

Slow Technology — In Slow Technology, Hallnas & Red strom (2001) advance the need for a form of design that emphasises reflection, the amplification of environments, and the use of technologies that a) amplify the presence of time; b) stretch time and extend processes; and c) reveal an expression of present time as slow-paced.

Disruptive Inefficiency — Disruptive inefficiency is a useful way of thinking about the intervention of slow methods in production that are valued by consumers but that reduce overall levels of productivity in an industry.

High Awareness in Foraging — We seek an active reader willing to interpret incomplete, fragmented and contradictory works. The thoroughness of long-form writing compensates for publication friction that has vanished. Better to return quickly and frequently to a thought than struggle to wring all value out at once.

Networked Publics — Mizuko Ito et al introduce the idea of networked publics to focus on the “broader social and cultural ecology that a person inhabits” as they participate in public culture pdf.

Unsere Wissens- und Musterallmenden werden sich schwerlich als hermetische Gebäude errichten lassen, und beständig neuen Einflüssen aus vielen verschiedenen Richtungen ausgesetzt sein. Eine möglichst dynamische und leicht wiederverwendbare Form hilft uns dabei, Absätze und Gedanken zwischen den Themen fließen zu lassen, und neue Querverbindungen zu schaffen.

Wiki als Muster

Auf welchen Ideen das Wiki selbst und die Notwendigkeit der Föderation bestehen ist ausführlich beschrieben worden. Diese kurzen Abschnitte und das sechsminütige Video geben einen Kurzabriss über die grundständigsten Konzepte, welche zur föderation der Wikis führen.

1997, Cunningham, W.: Folk Memory :page_facing_up: pdf
This memo describes an adaptive architecture for federating peer object servers. Both the architecture and its implementations are called Folk Memory. This term alludes to the social process by which folk tales or folk songs are remembered and propagated within a culture. The folk servers, like people within a culture, share their interests with their associates and associate with those who share their interests. Folk servers stream domain objects over simultainous connections to peers dynamically chosen to shorten access to the authoritative sources for objects deemed interesting. Conflicts are resolved by a collective process that may not settle to identical state in all parts of a network. Folk memory favors scaleability and robustness over accuracy and determinism

2011 spricht Ward Cunningham über die Präsentation dieser Ideen in der Keynote zur Wikimania 2005 in Frankfurt am Main. Hierin werden auch der äußere Kontext von Neutral-Point-of-View Problemen und Änderungskämpfen in der Wikipedia, als auch die globalen Fragen von Bevölkerung, Energie und Klima angesprochen.

Wir lernen zu verstehen, dass das Wiki selbst als eine Komposition von ausgewählten Softwaremustern entstanden ist. Diese Muster beständig zu hinterfragen und ggf. zu ergänzen hat letztlich dazu geführt, dass die Evolution vom einseitigen, enzyklopädischen Wiki, welches von jedem Thema nur eine Wahrheit kennt, zum vielseitigen, verteilten Verbundwiki führte, in welchem wir jeder Stimme zu jedem Thema Gehör verschaffen können, ohne dass Uniformität zu erzwingen wäre.

2014, Cunningham, W. and Mehaffy, M.W.: “Wiki as Pattern Language.” :page_facing_up: pdf
We describe the origin of wiki technology, which has become widely influential, and its relationship to the development of pattern languages insoftware. We show how the relationship is deeper than previously understood. The deep shared logic points to unrealized potential, with expandedcapability for wikis – including a new generation of “federated” wiki. We draw conclusions about the use of this and related technology to “curate”(collectively gather and refine) knowledge systems.

Herauszufinden wie sich diese Form der verteilten Wissensgenerierung in kooperativen Zusammenhängen nützlich machen lässt, ist Aufgabe der kommenden Generation(en), welche sich diese Werkzeuge aneignen. Die inhärente, neue Logik des Wissensaustauschs in Verbundwikis kann nur gelebt erfahren werden. Einzig im Vollzug des Schreibens ist es möglich die Phänomene und Effekte zu erleben, welche zu einer neuen Positionierung des Selbst als Autorïn, und damit einer neuen Erfahrung von Autorïnnenschaft führen.

Eine detaillierte Darstellung dieser neuartigen Form zusammen zu schreiben findet sich im Kapitel 2019. Bollier, Helfrich: Verbundwiki (S. 230ff.), in: :open_book: Frei, Fair und Lebendig


Wissensallmende

Wir entlassen unser aufgeschriebenes Wissen mit Hilfe der Creative Commons in die Allmende. Technische Systeme helfen uns Zusammenhänge und Herkunft einzelner Gedankenmuster nachzuzeichnen. An der Zugänglichkeit für die Leserïn und der Erfahrung während des Schreibens bemisst sich, ob das Wissen florieren und angewandt werden wird.

Zum Abschied von dieser Sache schließlich noch ein paar aphoristische Bonmots aus einer anderen Textföderation.

Mostly people will share knowledge

Linking and connecting people is more important than storing their artifacts.

Fragmented knowledge

Everything is fragmented. We evolved to handle unstructured fragmented fine granularity information objects, not highly structured documents.

We can’t really describe how we know things

The way we know things is not the way we report we know things. … This has major consequences for knowledge management practice.

Coding knowledge reduces information

We always know more than we can say, and we will always say more than we can write down. This is probably the most important.

Vielleicht ist es letztlich viel eher der Fakt, dass wir im Austausch mit einander stehen, als das eigentliche Artefakt das wir produzieren, welchen wir in den Mittelpunkt unserer Bemühungen stellen. Dann ist es auch nicht mehr ganz so wichtig was, wo und wie wir schreiben, sondern dass überhaupt.

(d) MECHANISMUS: Es gibt eine fundamentale Verbindung zwischen Schrift, Maschine und Computer. Der mechanischen Rechenmaschine ging das schriftliche symbolische Rechnen voraus und nicht zufällig ist die Turing Maschine ein Formalismus, also ein Schrift artefakt. Das Wort ‚Programmierung‘ erinnert daran, dass die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine stets auf das Nadelöhr der Inskription angewiesen bleibt. Mit der Digitalisierung und Vernetzung gewinnt die Schrift neue Erscheinungsweisen und Funktionen: In Chatrooms und Emails nimmt der Schriftverkehr Attribute des Mündlichen an; in Computersimulationen wird Schriftstrukturen Zeit implementiert; der Link verkörpert eine Art ‚Selbstbewegung der Schrift‘; der Strichcode und seine Nachfolgetechniken (RFID) eröffnen das Internet der Dinge.

[…] Doch immer, wenn wir uns nicht auskennen, sei es praktisch oder theoretisch sind es just Raumrelationen (und keine Relationen der Zeit!), die zum Medium von Orientierung und Reorientierung werden. Erkenntnis ist ohne eine Kartographie der ‚Wissensräume‘ in Form von Tabellen, Texten, Argumentstrukturen/Deduktionen, Graphen und Diagrammen undenkbar. Nicht nur in der Semantik unserer Sprache, sondern auch in den philosophischen Erkenntnistheorien selbst ist eine Präferenz für die Ordnungsform des Raumes unübersehbar - schon seit Platons Linien und Höhlengleichnis.

  1. Krämer: „Schriftbildlichkeit‘ Grundlinien einer Diagrammatologie

So hilft uns das Verbundwiki unsere Gedanken räumlich gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen. Und das Denken geht durch das Nadelöhr der Schrift. Gemeinsam.